Legionare
Nieselregen ein. Alle stapften stumm dahin. Dar war es recht, da sie keine Lust zum Plaudern hatte. Ohne ein Feuer anzünden zu können, verbrachten die vier die Nacht eng zusammengerückt unter einem Felssims. Am nächsten Tag steigerte sich das Nieseln zum Dauerregen. Als sie daheim eintrafen, fühlte Dar sich gründlich elend.
Wärme und Essen verschafften zwar ihrem Körper Trost, doch nicht ihrem Gemüt. Das kurze Wiedersehen mit Kovok-mah verschlimmerte den Trennungsschmerz umso mehr. Ihre Sehnsucht schien ein leibliches Bedürfnis wie Hunger und Durst zu sein, das gestillt werden musste. Doch Dar wusste, dass darauf vorerst kaum Aussicht bestand.
Sie verbarg ihre Gefühle so gut wie möglich und baute auf ihr Wissen, dass Kummer keinen Geruch hatte. Täglich arbeitete sie fleißig in der Küche und hoffte, dass die Beschäftigung ihr Herzeleid linderte. Ihre Kochkünste besserten sich, nicht dagegen ihre Gemütsverfassung. Sie glaubte, niemand hätte ihre Trübsal bemerkt, bis sie zu einem Gespräch mit der Matriarchin gerufen wurde.
Als Dar die Große Kammer betrat, traf sie Muth-yat allein
an, die aus dem Fenster blickte. Der Himmel war grau, und auf den braunen Berggipfeln sah man den ersten Schnee. Die Matriarchin wandte sich um und lächelte. »Dargu-yat, es freut mich, dich zu sehen.« Sie kam herüber und streichelte Dars Tätowierung. »Jvar-yat hat glänzende Arbeit geleistet.«
Dar erwiderte Muth-yats Lächeln, bevor sie sich verbeugte. »Ich bin damit sehr zufrieden, Mutter.«
»Mit Grund. Stellt es dich auch zufrieden, eine Urkzimmuthi zu sein?«
»Sehr.«
»Ich kann es nachvollziehen, denn ich habe schon unter Washavoki gelebt«, sagte Muth-yat. »Als meine Muthuri Königin war, bin ich oft bei ihnen gewesen. Damals herrschte ein alter König. Er war anders als sein Sohn.«
»Ich habe davon gehört«, antwortete Dar.
»Washavoki haben kein Fathma«, sagte Muth-yat. »Darum ist jetzt sein Sohn König, obwohl er grausam ist und abartige Gelüste hat.«
»Er ist begierig aufs Töten«, sagte Dar. »Ich hab es selbst gesehen.«
»Ohne Fathma hätten wir vielleicht ähnlich grausame und abartige Königinnen.«
»Vom Fathma hab ich gehört, aber ich weiß nicht genau, was es ist«, gestand Dar.
»Es ist ein besonderer Geist«, erklärte Muth-yat. »Vor langem hat Muth’la ihn erschaffen und der ersten Königin geschenkt. Der Geist verlieh ihr Weisheit, Erbarmen und Geschick. Ehe die Königin starb, reichte sie es weiter an die zum Herrschen am besten geeignete Mutter. Hätte der alte Washavoki-König Fathma gehabt, wäre seine Krone nicht seinem unwürdigen Sohn zugefallen und die Washavoki hätten heute einen besseren Herrscher.«
»Das Fathma geht also nicht von der Mutter auf die Tochter über?«, fragte Dar.
»Manchmal ist es so, oft aber auch nicht. Bevor die Königin stirbt, leitet Muth’la sie an.«
»Du hast das Fathma auch erwähnt, als du mich an den Ort meiner Wiedergeburt gebracht hast. Dort, hast du gesagt, sei es zu den Urkzimmuthi zurückgekehrt.«
»Es freut mich, dass du dich erinnerst«, sagte Muth-yat. »Das Fathma wandert weiter, wenn die Königin im Sterben liegt. Als die Washavoki Tarathank vernichteten, töteten sie die Königin und ihr ganzes Gefolge. Das Fathma ging verloren; es gab keine Königin mehr. Chaos folgte. Viele starben; viel ging verloren.«
»Wie ist das Fathma zurückgekehrt?«, erkundigte sich Dar.
»Eine Mutter wurde geboren, die das Fathma hatte. Sie wuchs heran und wurde Königin.« Muth-yat ergriff Dars Hand und beugte sich eindringlich vor. »Verlieren wir das Fathma noch einmal, kehrt die schlimme Zeit wieder. Ich sage es dir, weil es meine größte Sorge ist.« Ihr Gesicht nahm einen grimmigen Ausdruck an. »Als meine Schwester das Fathma hatte, wurde sie Königin. Jetzt lebt sei bei den Washavoki in Taiben. Dort sind keine Urkzimmuthi-Mütter, nur Söhne. Sie ist krank. Vielleicht stirbt sie.«
Dar hatte den Zauberer gesehen, der die Krankheit der Ork-Königin behandelte. Sie traute ihm nichts Gutes zu. Viel eher mochte er der Urheber ihrer Erkrankung sein. »Söhne sollten die Königin von dort wegholen«, sagte sie.
»Ich bin deiner Meinung«, stimmte Muth-yat zu. »Aber die Söhne gehorchen der Königin, nicht mir.«
»Will sie denn dort bleiben?«
»Sie behauptet, es sei ihr Wunsch.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht.«
Dar fühlte sich zwar nicht ganz wohl dabei, der Matriarchin Ratschläge zu erteilen, doch sie war der
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