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Legionen des Todes: Roman

Legionen des Todes: Roman

Titel: Legionen des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael McBride
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aufbringen können – einem Kind, einem schwächlichen Kind! -, und hatte ihn niedergestreckt wie einen Straßenköter. Die Erde gehörte jetzt ihm, es war seine Welt, sein Reich, über das er uneingeschränkt herrschen würde. Warum also verspürte er keinen Triumph? Wo blieb der Rausch der Macht, die Befriedigung, seine Pläne vollendet zu haben?
    Rasend vor Zorn stürmte er den Schutthügel hinauf zu dem Kreuz, spreizte seine Klauen und schlitzte den Bauch des Leichnams auf. Es floss kein Blut. Nichts. Nur vier parallel verlaufende Schnittwunden, deren Ränder kaum auseinanderklafften.
    Er hob seinen Blick zu dem verirrten Lichtstrahl und schaute direkt in die Sonne. Es war, als wollte Gott ihn verspotten, ihn quälen. Tods Hass kochte über und stürzte ihn in einen Anfall animalischer Raserei.
    Der Junge ist tot , sagte eine Stimme aus einem anderen Leben. Die Worte, die in seinem Kopf ertönten, hatten einen arabischen Akzent. Lass ihn in Frieden .
    Tod verlor jegliche Kontrolle und schlug wieder und wieder auf das ein, was kaum noch mehr als ein unförmiger Klumpen Fleisch war.
    Zack!
    Schrei! Ich will dich schreien hören!
    Zack!
    Schrei!
    Zack!
    SCHREI!
    Er wirbelte herum und wandte sich ab von der Leiche. Sein Atem ging keuchend, die Augen glühten rot.
    Lass ihn in Frieden .
    Tod richtete sich auf, riss seine Arme nach oben und brüllte in den Himmel. Als er seinen Blick wieder senkte, fiel er auf Pest und Hunger, die beide unwillkürlich einen Schritt zurück machten. Sie standen immer noch zu Füßen des Hügels, ihre Gesichter verhüllt von den Schatten unter ihren Umhängen aus Menschenhaut. Wenn es ihm nicht gelang, den Jungen zum Schreien zu bringen, konnte er sich vielleicht auf die beiden stürzen und sie die Schmerzen spüren lassen, die ihm verweigert worden waren – und durch sie würde auch er selbst sie spüren können. Alle Qualen der Hölle waren ihm weit lieber als diese Leere in ihm. Es war, als hätte er mit dem Hinschlachten des Kindes auch einen Teil seiner selbst getötet.
    Das war es, oder etwa nicht? Er und der Junge, sie waren zwei Hälften desselben Ganzen gewesen. Beide waren sie Kinder Gottes gewesen. Seine Bestimmung war es gewesen, Gottes Zorn auf Erden zu bringen, der Junge war Seine Liebe gewesen. Zwei Seiten derselben Medaille. Der Zorn hatte triumphiert, woran Tod nie einen Zweifel gehabt hatte, aber in diesem Triumph hatte er auch sich selbst geschlagen. Ein bittersüßer Sieg. Die verwüstete Erde gehörte nun ihm, ein nuklear verseuchter, vom Feuer verheerter Planet, der bald nichts anderes kennen würde als Frieden unter der Faust eines Herrschers, den es nach nichts mehr verlangte als nach Zerstörung.
    Tod stellte sich vor, wie Gott von oben herab über ihn lachte. Es hatte nie einen Sieg zu erringen gegeben. Nicht für Tod. Wenn er die Menschheit auslöschte, diente er damit nur seinem Herrn; wäre er dem Jungen unterlegen, hätte Gott ebenso gewonnen. Es war wie eine Schachpartie, die der Schöpfer gegen sich selbst spielte. Tod war nicht mehr als ein Bauer in diesem Spiel, aber auch ein Bauer kann den König zu Fall bringen, wenn er es geschickt anstellt. Tod hatte die letzte Hoffnung der Menschheit zerstört, aber das bedeutete nicht, dass es da draußen keine Menschen mehr gab. Die ganze Zeit über hatte er an nichts anderem gearbeitet als an ihrer Vernichtung, doch konnte diese letzte Handvoll immer noch von Nutzen sein. Mit der Hilfe seiner Geschwister konnte er sie in seinem eigenen Abbild neu erschaffen. Sein Reich mit Geschöpfen bevölkern, die ihn, und nur ihn allein anbeten würden.
    Vielleicht konnte er Gott nicht besiegen, aber das bedeutete nicht, dass er nicht selbst Gott werden konnte.
    Er konzentrierte sich abwechselnd auf Hunger und Pest, suchte in der Dunkelheit deren verhüllte Augen. Sie verneigten sich und gehorchten seinem stillen Befehl, wandten sich ab und schritten in verschiedene Richtungen die Straße hinunter. In einiger Entfernung ertönte Hufgeklapper und kam mit jeder Sekunde näher.
    Die Überlebenden würden vor ihn gebracht werden.
    Und er würde sie neu erschaffen.
    Tod wandte sich um und warf einen letzten Blick auf den gefallenen Erlöser an seinem Kreuz. Der Leichnam erstrahlte nicht mehr in himmlischem Leuchten. Die goldene Aura war verschwunden, nur ein jämmerlicher, kleiner Körper baumelte dort, leblos wie ein vertrocknetes Blatt im Herbst. Die Sonne war jetzt bis zur Spitze des Wolkenkratzers aufgestiegen und erweckte

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