Legionen des Todes: Roman
Kiefer. In einer Explosion von Knochen flogen Zähne und Splitter über den Asphalt. Wild schüttelte die Bestie ihren Kopf und drehte sich in ihre Richtung. Von ihrer Schnauze war nur noch ein gähnendes Loch übrig, aus dem dreieckige Knochensplitter ragten wie aus dem Maul eines Blutegels. Der zweite Schuss durchschlug das Stirnbein oberhalb des rechten Auges, und der Schädel zerplatzte. Die kopflose Halswirbelsäule peitschte auf und ab, dann knickten die Vorderläufe ein. Mit den Hinterläufen versuchte das Biest, sich wieder aufzurichten, doch stattdessen schob es den leblosen Vorderkörper nur über den Asphalt, den nackten Hals neben sich herziehend. Der Reiter sprang von seinem Rücken, während das Skelettpferd hinter ihm in seinen Todeszuckungen lag.
Bewegungslos stand die verhüllte Gestalt keine drei Meter entfernt vor ihr.
Evelyn hörte noch mehr Schüsse, und aus dem Augenwinkel sah sie, wie die Bewegungen am Rand ihres Gesichtfelds immer hektischer wurden, doch wagte sie es nicht, ihren Blick von der Gestalt vor ihr loszureißen, deren Gesichtszüge immer noch in Dunkelheit gehüllt waren.
Wie in Zeitlupe schoben sich zwei glatte, elfenbeinfarbene Hände unter den weiten Ärmeln hervor und fassten hinauf zum Kopf, legten sich auf die Kapuze und zogen sie zurück.
Evelyn schnappte nach Luft, als sie das Gesicht erblickte. Unwillkürlich taumelte sie mehrere Schritte zurück. Ihr Gegner schien aus Perlmutt zu bestehen, alle Konturen glatt und glänzend. Selbst seine Augen waren weiß. Den einzigen Kontrast bildeten die unter seiner Porzellanhaut pulsierenden Blasen, die den Eindruck erweckten, als würde sein Blut kochen. Das Ding verzog keine Miene, aber Evelyn konnte den kalten Hass, der ihr entgegenschlug, deutlich spüren.
Peng!
Noch ein Schuss, der hinter ihr abgefeuert worden war. Rechts von ihr schrie etwas auf.
Hunger machte einen Schritt auf sie zu, und Evelyn hörte ein Klick von der Stelle, an der Ray hinter den Trümmern in Deckung gegangen war. Klick. Klick. Klick.
Evelyn suchte den Boden zu ihren Füßen nach irgendeiner Art von Waffe ab, doch sie sah nur zerborstene Ziegelsteine. Sie packte einen der scharfkantigen Brocken und schleuderte ihn auf die näher kommende Kreatur, doch das Wurfgeschoss prallte ohne die geringste Wirkung von ihrer Brust ab.
»O mein Gott«, flüsterte sie und begann zu rennen, aber Hunger war zu schnell.
Zwei Fäuste schlugen gegen ihre Brust, packten ihr T-Shirt und hoben sie vom Boden. Mit allem, was sie hatte, schlug Evelyn immer wieder auf ihn ein, gegen Schienbeine und Knie. Falls sie ihm damit irgendwelche Schmerzen zufügen sollte, zeigte er es nicht, sondern starrte sie nur ausdruckslos an. Evelyn war außer sich vor Panik und schlug mit ihren Fingernägeln nach seinem Gesicht, doch die Haut war so hart, dass ihre Nägel sich lediglich nach hinten umbogen. Selbst die glatten, weißen Augen schienen immun gegen ihre Angriffe.
Sie schaute nach rechts in der Hoffnung, Adam würde ihr zu Hilfe eilen, doch der kleinere der beiden Reiter kniete bereits auf ihm und hielt ihn am Boden fest. Alles, was sie unter dem flatternden Umhang sehen konnte, waren Adams erhobene Arme, mit denen er versuchte, seinen Angreifer abzuwehren.
Sie würden sterben. Sie hatten es bis hierher geschafft, nur um dann zu versagen.
Hungers Hände verlagerten ihren Griff, wie Spinnen krochen sie nach oben zu ihrem Hals. Evelyn wusste: Wenn sie ihr Ziel erreichten, wäre alles vorbei.
Sie packte Hungers Schädel, presste ihre Finger auf seine Schläfen und drückte mit den Daumen in seine Augenhöhlen, so fest sie nur konnte, doch ebenso gut hätte sie versuchen können, einen Stein mit bloßen Händen zu zerquetschen. Die grässlichen Hände kamen ihrem Hals immer näher. Sie schrie und drückte mit aller Kraft zu.
Immer noch in der Luft baumelnd, spürte sie, wie der Griff um ihre Kehle fester wurde. Sie bekam keine Luft mehr. Verzweifelt versuchte sie zu atmen, doch nicht das kleinste bisschen Sauerstoff erreichte ihre Lunge. Evelyn ließ von Hungers Augen ab und grub ihre Finger unter die seinen, riss dabei ganze Fetzen aus ihrer eigenen Haut. Die Haut an seinen Händen war ebenso undurchdringlich wie die in seinem Gesicht, unter der die Blasen jetzt noch wilder durcheinanderwirbelten und über die Arme bis in seine Fingerspitzen wanderten, die daraufhin nur noch fester zuzudrücken schienen.
Evelyn sah rote Punkte am Rand ihres Gesichtsfeldes, die sich wie Amöben
Weitere Kostenlose Bücher