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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit Teufelsg'walt
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das jetzt hier zu suchen hat?«
    »Die Mutter, die Angst hatte, ihren Sohn ans Jugen d amt zu verlieren, ist inzwischen tot«, erklärte ich. »Sie hat sich erhängt. Und Sie kennen sie. Es handelt sich um Nina Habergeiß, einst die Hebamme Ihrer Frau, die sie auch nach den Geburten ihrer Töchter noch betreut hat und verschiedentlich bei Ihnen zu Hause war.«
    Depper zog die Brauen zusammen. »Die Hebamme? Ja, ich erinnere mich dunkel. Da gab es eine, aber ich bin ihr nie begegnet. Sie kam tagsüber, wenn ich im Geschäft war.«
    »Das Jugendamt hat ihr am Mittwoch, an dem Tag, als Ihre Frau starb, den fünfjährigen Sohn weggenommen, weil sie angeblich unter einer Krankheit leidet, die Münchhausen-Stel l vertreter-Syndrom heißt.«
    Ich wartete ab, ob Depper Aha signalisierte, aber er tat es nicht. Im Gegenteil. Sein Gesicht wurde auffällig a f fektneutral.
    »Mütter, die unter dieser psychischen Störung leiden, verletzen ihre Kinder absichtlich, um die Aufmerksa m keit von Ärzten zu erringen. Sie geben ihren Kindern Gift, sie drücken ihnen die Luft ab und schreien die ga n ze Krankenstation zusammen. Die Mütter wollen ihre Ki n der zwar nicht umbringen, aber zuweilen sind ihre Ma ß nahmen tödlich. Es gibt einen englischen Kinderarzt, der etliche Fälle von plötzlichem Kindstod mit diesem Sy n drom in Verbindung gebracht hat.«
    Deppers Stimme klang müde. »Und jetzt denken Sie, meine Frau hätte …«
    »Was denken Sie denn?«, unterbrach Richard ihn le i se.
    Vielleicht war es das in Unschuld schlafende Baby auf dem Arm des Staatsanwalts, das den Juristen betäubte. Vielleicht gab es auch nichts mehr zu kämpfen. »Ja«, sagte Depper. »Ja, solche Gedanken habe ich mir durc h aus gemacht.« Er drückte sich die Finger in die Augen. »Nächtelang, über Jahre. Jede Minute dieser beiden fürchterlichen Nächte habe ich versucht zu rekonstrui e ren. Wann ist Sonja aufgestanden, habe ich das Baby vorher eigentlich schreien gehört? Oder ist sie einfach nur so aufgestanden? Ich kann mich nicht erinnern. Habe ich gehört, was sie gemacht hat? Ist sie in die Küche g e gangen, um ein Teefläsch chen zu machen? Eigentlich waren wir übereingekommen, nicht bei jedem Schrei der Kleinen sofort zu springen und sie nicht daran zu g e wöhnen, dass es mitten in der Nacht Tee gibt.«
    Er blickte erst mich, dann Richard mit weit offenen grauen Augen an. Sein Bubengesicht war plötzlich faltig, die Backen hingen.
    »Sonja hat es mir nie wirklich gesagt, nie ausdrüc k lich, verstehen Sie, aber aus Andeutungen weiß ich, dass sie als Kind … nun … Gewalterfahrungen gemacht hat. Der Vater hat sie geschlagen, ihre Mutter hat sich e r hängt, als Sonja sechzehn war. Sie hat nie darüber spr e chen wollen. Ein halbes Jahr war sie in der Psychiatrie, angeblich wegen Borderline, aber sie hat sich nie selbst verletzt. Sie hatte all diese Merkmale nicht, die man mit Borderline in Zusammenhang bringt, Angstzustände, Labilität. Vielleicht war sie manchmal zu gefühllos, geradezu affektleer und …«, er lächelte schief, »ein biss chen arrogant und voller Ansprüche, was ihr alles z u steht, aber sind wir das nicht alle manchmal?«
    Alena gab einen verschlafenen Ton von sich und spr u delte Spuckebläschen. Deppers Blick ruckte zu dem Säugling. Er holte tief Luft, dann blickte er uns wieder an.
    »Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, was ich durchgemacht habe. Sie können doch die eigene Frau nicht einfach fragen, ob sie die gemeinsamen Kinder umgebracht hat. Sonja hat sich sterilisieren lassen nach dem zweiten Kind. Ich habe das nie verstanden. Man könnte denken, sie habe es getan, um sich selbst ein U l timatum zu setzen. Wenn sie dieses umbringt, wird es kein weit e res geben. Aber das ist Spekulation. Verstehen Sie mich bitte richtig. Ich weiß nicht, ob meine Frau den Kinde rn etwas getan hat. Die rechtsmedizinischen Unte r suchu n gen haben keine Hinweise auf Fremdeinwirkung ergeben. Und irgendwann muss man sich für das eine oder andere entscheiden. Ich habe mich dafür entschi e den zu glauben, dass wir einfach Pech hatten. Aber den Gedanken an eine Adoption konnte ich nicht ertragen. Es hätte die Ung e wissheit wieder aufbrechen lassen, falls Sie verstehen, was ich meine. Natürlich hatten wir Streit deswegen. S o gar am Morgen ihres Todes. Sie hat sich nicht damit a b finden können, dass Eliska ihre Tochter zur anonymen Adoption freigegeben hatte. Und das hat sie ihr gesagt an diesem Morgen. Sie

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