Lehmann, Christine
an, aber ich entkam rechtzeitig. Als ich wieder hinters Luxussteuer von Richards S-Klasse rutschte, ließ er gerade das Telefon sinken. »Meisner geht nicht ran. Sie klang vorhin schon fürchterlich erkä l tet. Wahrscheinlich hat sie Betäubungsmittel eingewo r fen und sich hingelegt.«
»Aber du hast heute schon mit ihr gesprochen?«
»Ja.«
Ich startete den Wagen. Wie üblich kam ich an den Hebel für die Automatik an der Lenksäule, und der M o tor jaulte im Leerlauf. »Und, was hat sie gesagt?«
»Ich darf es dir wirklich nicht sagen, Lisa.«
Ich tippte mit dem Finger den Drive-Gang an und ließ den Wagen mal kurz ans Heck des vor uns stehenden Autos springen. Richard stemmte den Fuß ins Bode n blech und umklammerte schützend Alena.
»Nun sag schon!«
»Fahr erst mal los.«
Ich lenkte die Limousine brav auf die Spur unter die entlaubten Bäume des Mittelstreifens, der die Osten d straße im Sommer zu einer Grünanlage machte.
»Also«, sagte Richard ohne weitere staatsanwal t schaftliche Pedanterie, »Sonja Deppers Leiche weist Spuren von Gewalteinwirkung an den Armen und Beinen auf.«
»Und eine doppelte Strangfurche?«
»Das rechtsmedizinische Gutachten vertritt die Au f fassung, dass das Opfer nicht beim ersten Angriff, so n dern erst beim zweiten mit Todesfolge erdrosselt wurde. Also zwei Versuche, der letzte tödlich. Der Fundort ist wohl auch der Tatort. Bei den Mengen, die den Hang runter- und wieder raufgestiegen sind, ist es zwar nur schwer zu sagen, aber die KT vertritt die Auffassung, dass sich wenigstens eine weitere Person da unten au f gehalten hat.«
Ich bog in die Wagenburgstraße ein und hielt auf den Tunnel zu. »Und wer? Der Ehemann?«
»Man hat bei der Durchsuchung seiner Privaträume und seines Büros keine Spuren gefunden, die darauf hi n deuten, dass er sich im Wald aufgehalten hat. Alle Sch u he sauber.«
»Hat er ein Alibi?«
»Er war angeblich auf der Heimfahrt von einem Klie n ten in Freudenstadt.«
»Dann ist er auf der Autobahn Singen-Stuttgart zie m lich dicht am Tatort vorbeigefahren. Vielleicht hat Sonja ja doch zuerst ihn angerufen.«
»Auf Sonja Deppers Handy ist kein Anruf zur fragl i chen Zeit mit seiner Handynummer registriert. Aber es gibt noch etwas. Fremd-DNS an einer Stelle, wo sie unter keinen Umständen sein darf.«
»Wo?«
Richard warf mir einen Blick zu. Ich fürchtete schon, er werde auf den letzten Meter wieder skrupulös, aber er zog Alena nur pedantisch das Mützchen zurecht und sa g te dann: »Hautabschürfungen am Astknorren, an dem der Schal sich scheinbar zufällig verfangen hat.«
»Das bedeutet also«, stellte ich fest, »dass jemand den Schal auf den Knorren gespießt und sich dabei selbst eine kleine Verletzung zugezogen hat.«
Der Tunnelmund spuckte uns auf die Kreuzungswüste im Geviert von Staatsgalerie, Staatstheater, Bahnhof und Neckartor.
»Man hat bereits eine DNS-Probe von Detlef Depper genommen. Aber bis das Ergebnis vorliegt – morgen Nachmittag –, wird Meisner keinen Haftbefehl beantr a gen. Sie hat ja sonst nichts.«
Ich fädelte mich auf die Stadtautobahn.
»Nein«, sagte Richard.
»Ich hab doch gar nichts gesagt!«
»Denk nicht mal daran, Lisa! Ich werde Meisner nicht in die Ermittlungen funken.«
»Aber ich muss zu Depper. Ich muss ihm Gelegenheit geben, sich zu den Vorwürfen zu äußern, der Aufsicht s rat des Xenodochiums habe Baphomet und seinem So n nennest über Jahre Zuschüsse für Pflegefamilien gezahlt, die es gar nicht gibt. Das gebietet die journalistische Sor g faltspflicht.«
»Haha!«
Es dämmerte schon, als ich Richards S-Klasse über das Verkehrsunglück lenkte, das sich österreichischer Platz nannte, und die steile Immenhofer Straße hinaufo r gelte.
»Allerdings …« Richards kaffeebraune Augen funke l ten zu mir herüber.
»Entscheide dich! Noch eine Ampel!«
»Allerdings könnten wir uns den Durchsuchungsb e schluss natürlich auch sparen, wenn Depper die Unterl a gen freiwillig herausgibt. Und wenn er klug ist …«
Ich schlug den Lenker ein und schleuderte in die Lis t straße. Samstagabend herrschte Parkplatzverzweiflung im stillen Gründerzeithäuserschacht. Auch die beiden Stel l plätze am Hinterhaus von Deppers Kanzlei waren belegt. Aber Richards Mercedesfahrerseele kannte da nichts. »Stell dich vor die Haustür.«
29
Detlef Depper meldete sich über die Gegensprechanlage aus der Wohnung, kam uns in Jeans, Hemd und Pullover im Treppenhaus entgegen und schloss die
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