Lehmann, Christine
bestimmte Fragen, bei denen Polizisten, Päc h ter, Staatsanwälte und wer sonst noch mit Opfer- und Täterdaten zu tun hatte, Mienen der Verschwiegenheit aufsetzten. Oft waren es ganz einfache Fragen, bei denen ich die Notwendigkeit nicht erkannte, Dienstgeheimnisse zu hüten. Vielleicht wussten sie es selbst nicht so genau und folgten nur dem Gefühl, dass nichts sagen sicherer war, wenn man nicht später feststellen wollte, dass man zu viel preisgegeben hatte. Täterwissen zum Beispiel.
»Sie hat Fotos von der Auffindesituation auf dem Handy«, informierte ihn die Kommissarin rasch.
»Ich kümmere mich darum«, antwortete Chri s toph.
Damit war sie das Problem los. Der Zeiger auf der Arm band uhr der Polizistin war bereits weit über die Halb-acht-Marke gekrochen. Und um acht war Schic h t ende.
Ich folgte Kriminalhauptkommissar Weininger die lange Schlange der silberblauen Wagen entlang. Am E n de wartete der Leichenwagen. Der Transportsarg stand offen auf dem Weg hinter der offenen Heckklappe. Die Schuhe der Träger waren schwer von Matsch, die H o senbeine verschmiert.
»Habt ihr Deppers Ehemann schon verständigt?«, fragte ich. »Sollte er nicht besser seine Frau identifizi e ren?«
»Herr Depper wird sie in der Rechtsmedizin identif i zieren. Du musst mir nur sagen, ob diese Person diejen i ge ist, die du da unten tot aufgefunden hast. Damit die Ze u genkette geschlossen ist.«
Die Scheinwerfer eines weiteren Wagens, der eben den Waldweg entlangkam, blendete uns. Es war ein kle i ner roter, dem Staatsanwältin Meisner entstieg. Sie hatte ihren Schal bis zur Nase gewickelt und pelzgefütterte Winterstiefel an den Füßen, ihre Haare wiesen nicht die eherne Sprayordnung auf wie sonst, und sie hustete.
»Abend«, grüßte sie.
»Oje«, sagte ich. »Es trifft doch immer die Falschen.«
»Tja«, antwortete sie. »Leider bin ich ans Telefon g e gangen. Dabei sollte ich eigentlich im Bett liegen und Kamillentee trinken.« Sie schnupfte, versuchte, mit den Fingern Ordnung in ihre Haare zu bringen, und musterte den Leichensack. »Aber besser ich als unser geschätzter Kollege aus dem Dezernat für Wirtschaftsdelikte. Es ist Richterin Depper, stimmt das? Mein Gott, erst gestern bin ich ihr in der Staatsanwaltschaft begegnet.« Meisner schüttelte den Kopf. »Nun machen Sie schon auf, We i ninger. Schauen wir der Wahrheit ins Auge.«
Christoph ratschte den Reißverschluss des Leiche n sacks so weit auf, dass wir im Schein seiner starken T a schenlampe das Gesicht sehen konnten.
Noch immer standen die Lippen grotesk offen, das Blatt hatte jemand entfernt, aber nicht das Mooszwei g lein aus dem halboffenen Auge. Das andere war g e schlossen und von Erde geschwärzt. Trotzdem waren die kleinen roten Punkte um die Augen gut zu erkennen, die Hunde r te von inneren Nadelstichen, die der Überdruck beim Kampf g e gen das Ersticken unter die Haut trieb. Die Stirn hatte auf der linken Seite eine kleine Platzwu n de, die noch geblutet hatte. Die kleinen roten Ohrstecker funkelten, und plöt z lich sah ich es wieder vor mir, das junge und erfolgshun g rige Gesicht der Richterin, die kraft Amt immer klüger war als die Eltern, die vor ihr saßen.
»Ja, das ist Sonja Depper«, sagte Meisner und seufzte.
»Es ist die Person, die vorhin da unten lag«, fügte ich an.
»Volles Programm«, ordnete Meisner an. »Ab in die Rechtsmedizin. Obduktion und Gentests.«
Christoph gab den Männern ein Zeichen. Sie ratschten den Reißverschluss wieder zu, legten den Deckel auf den Sarg und hoben ihn in den Leichenwagen. Der wurde aber nun von Meisners Auto blockiert. Ein Polizeibea m ter musste geholt werden, der von Meisner den Schlüssel bekam und den Wagen rückwärts zum Parkplatz an der Magstadter Straße fuhr, gefolgt vom Leichenwagen, ebenfalls im Rückwärtsgang.
»Weiß es ihr Mann schon?«, fragte Meisner.
»Die Kollegen haben nur auf die Bestätigung gewa r tet«, antwortete Christoph.
Die Staatsanwältin für Tötungsdelikte hustete und schaute sich um. »Dann wollen wir mal.« Sie straffte sich und marschierte an der Reihe der Wagen entlang.
Sonja Depper hatte sich eine wirklich ungünstige Stelle zum Sterben ausgesucht, auch, was die Spurens i ch e rung betraf. Der Hang sah inzwischen aus wie nach zwei Wochen Kinderrodeln auf drei Zentimetern Schnee. U n ten hatte sich die Tatortgruppe in Overalls mit Fotoapp a raten, Pinseln und Klebebändern an die Arbeit gemacht.
Christoph zündete sich eine Zigarette
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