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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit Teufelsg'walt
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dem weltweiten Netz, »treten solche Mütter wie perfekte Mütter auf, besorgt, aufopferungsvoll bis zur Erschö p fung, engelsgleich. Sie weichen ihren Kindern nicht von der Seite, suchen engen Kontakt zu Ärzten und Kranke n schwestern. Sie genießen die Aufmerksamkeit von Är z ten und Pflegepersonal. Die Krankenschwester wird zu ihrer besten Freundin. Oft sind sie übrigens selbst Kra n kenschwester gewesen.«
    »Das stimmt schon mal nicht. Meine Mutter geht überhaupt nicht gern zu Ärzten«, teilte uns Katarina mit. »Weil die sie behandeln wie Abschaum. Wir sind halt nur Kassenpatienten.« Dann brach sie völlig unerwartet in Tränen aus.
    Sally stand auf und legte den Arm um sie.
    Das Mädchen schluchzte eine Weile, versuchte sich die Tränen zu trocknen, ohne die Wimperntusche zu ve r wischen, lächelte, lachte und heulte. »Ich hab nur g e rade gedacht, wo der Tobi jetzt ist? Er kann doch nicht ei n schlafen ohne seinen Puschel. Und er hat seine Han d schuhe nicht, damit er sich nachts nicht kratzt. Er schämt sich doch immer so, wenn er sich im Gesicht was aufg e kratzt hat. Und auf M ö hren reagiert er total allergisch. Das wissen die doch alles nicht.«
    Wir schauten uns an.
    »Die müssen ihn wieder rausrücken«, beschwichtigte Sally. »Lisa ist bei der Zeitung und Richard ist Staatsa n walt.«
    Ein warnendes Räuspern Richards unterbrach sie.
    Ich lenkte ab. »Habt ihr inzwischen Mitteilung vom Jugendamt bekommen? Hat man euch angerufen?«
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Es hat niemand angerufen.«
    Richard runzelte die Stirn.
    »Ich habe ja gesehen, wie sie Tobi abgeholt haben«, erklärte Katarina. »Da meinen sie jetzt sicher, sie müs s ten nicht mehr bei uns anrufen.«
    Richard schüttelte sachte den Kopf.
    Ein Schatten fiel auf unsere Schuhschachtelgesel l schaft. Das Unheimliche ließ sich bei uns nieder. Jeder, der einmal Kind gewesen war, kannte das Bohren von Einsamkeit und Angst. Bitte, lieber Gott, lass Mama und Papa nichts geschehen, bitte, bitte, und meinem Mee r schweinchen auch nicht, und bitte, lieber Gott, mach, dass morgen alles wieder gut ist und dass Mama wieder gesund ist. Bitte lass Mama und Papa nicht sterben. Das waren meine Beschwörungsformeln gewesen. Wir hatten ja nur diese einen Eltern, nur dieses eine Leben, nur diese eine Welt, und bitte, lieber Gott, lass sie morgen noch so sein wie heute, sie muss gar nicht besser sein, aber bitte lass sie auch nicht schlimmer sein!
    Plötzlich schien es mir sehr unwahrscheinlich, dass Depper einfach nur gestolpert war und sich selbst stra n guliert hatte. Und wer zum Teufel hatte Tobias heute Mittag wirklich aus dem Kindergarten geholt? Und wo steckte er jetzt?
    Ich googelte nach Kinderheimen, während das G e spräch noch eine Weile hin und her ging, die kleine Al e na aufwachte und gähnte, was Katarina und Sally zu En t zü ckensschreien veranlasste, Richard seinen Zeigefinger wiederbekam, das Baby auf den rechten Arm wechselte und dabei auf die Uhr schaute. Es musste Stunden her sein, dass er die letzte Zigarette geraucht hatte.
    »Ich glaube«, sagte er, »Alena hat ein Stinkerchen gemacht!«

7
     
    Richard stand in Hemdsärmeln mit dem frisch gewicke l ten und mit Säuglingsnahrung abgefüllten Hosenschei ß erle am dunklen Fenster, klopfte ihm sanft auf den R ü cken und wartete aufs Bäuerchen. Er warf mir einen verwunderten, beinahe verwundeten Blick zu. »Soll ich g e hen?«
    Himmel, kaum bekindert und schon Grundsatzfragen! »Aber ich steh nicht auf heute Nacht!«
    Er schmunzelte. Und klopfte. Das Butzele rülpste. »Feines Bäuerchen, so ist es recht!«
    Wie selbstverständlich hatte Richard in meinem Bad e zimmer auf dem Tisch dem Wicht die Windeln gewec h selt, dann Milch angerührt, im elektrischen Flasche n wärmer erhitzt, die Temperatur des Fläschchens an der Innenseite seines Handgelenks geprüft und es dann in Alenas Schnute gestopft. Er konnte das, und es war mir völlig schleierhaft, wieso. Alena schrie auch nicht. Sie schrie nur – und zwar wie am Spieß –, als er sie mir übergab, um die Hände frei zu haben für die Z u bereitung des Fläschchens. Ich zeigte Alena Cipión , der mit glä n zender Nase und unsicher, ob zur Eife r sucht Anlass sei, das Gekreische musterte, ich wippte sie auf dem Arm, ich zeigte ihr den bunten Bildschirm meines Klappco m puters, klimperte mit meinem Schlü s selbund und was man alles so machte, um für ein paar Sekunden Neugier und Stille zu provozieren, aber Al e na

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