Lehmann, Christine
gab erst wieder Ruhe, als Richard sie übernahm.
»Ich kann ja auf dem Sofa schlafen«, schlug er vor.
Ich drehte mich zu ihm um. »Haben wir noch Sex oder haben wir jetzt ein Kind?«
Er lachte. »Eifersüchtig?«
»Nein, eher besorgt, Richard. Du wirst sie nicht beha l ten können!«
»Ich weiß.« Er strich ihr übers Köpfchen. Alena rülp s te Milchschaum auf Richards Hemd. »Ja, und noch ein Bäuerchen!«, gurrte er beglückt. »Das machst du sehr gut!«
»Sie sollte gar nicht hier sein.«
»Wo sollte sie denn sein? In der Obhut des Jugen d amts?«
»Richard! Für genau solche Fälle ist das Jugendamt da. Die haben Bereitschaftspflegefamilien. Außerdem gehört sie ja jemandem. Irgendwo ist jetzt eine Mutter verrückt vor Angst.«
»Aber bei der Polizei hat sie sich nicht gemeldet. Christoph sagt mir Bescheid, sobald die Vermisstena n zeige eingeht. Und gleich morgen gehe ich zum Jugen d amt.«
»Zu dir ins Amt kannst du sie eh nicht mitnehmen!«, bemerkte ich.
»Wer sagt das?« Richards Augen glitzerten schräg, und der Schalk zuckte in den Mundwinkeln. Selten hatte ich ihn so vergnügt und entspannt gesehen, so gänzlich einig mit sich und der Welt.
»Zuzutrauen wäre es dir!« Ich musste lachen. »Die Damen des Geschäftszimmers werden entzückt sein. Dein Sekretariatsdrache Roswita Kallweit wohl eher w e niger. Und ob der Vorsitzende Richter auch so entzückt ist …«
»Lisa, lass mir einfach den Spaß, ja?«
»Okay, okay! Aber warum in meiner Wohnung?«
»Weil …« Richard trat an mich heran, in einer Duf t wolke aus Babywäscheweichspüler, säuerlicher Milch und einem Hauch seines ureigenen Pflegemitteldufts nach Zeder und Zibet, löste die Klopfhand von Alenas Rücken, griff nach mir, zog mich zu sich hin und küsste mich. »Weil ich es schön finde, wenn du dabei bist, L i sa.«
Nee, bitte! Mir wurden die Knie butterweich, ein Kloß verstopfte mir den Kehlkopf.
Hastig wandte ich mich der rosafarbenen Wolldecke zu, in die Alena eingewickelt gewesen war. Neben ihr auf meinem alten Kneipentisch lag auch der Strampler, den sie angehabt und den Richard durch einen neuen ausgetauscht hatte. Es waren vielfach gewaschene S a chen mit unauffälligen Massenwareetiketten. Nur auf der Wolld e cke stand »Reine Schurwolle« und »Naturtextil« über dem Label des Ökoversands Waschbär.
»Findest du, das passt zu der türkischen Herkunft, die du dem Kind angedichtet hast?«
»Wenn die Mutter Deutsche ist … Abgesehen davon werden Erstausstattungen meist von Verwandten, Eltern und Freunden gekauft. Wenn bei uns im Amt eine ein Kind kriegt, wird gesammelt, als müsste ein ganzes Ki n derdorf in Bolivien ausgestattet werden.«
»Richard! Du bist politisch unkorrekt!«
Er lachte. »Ist doch wahr!«
Ich schob mein Befremden über seinen hormonell b e dingten Charakterwechsel beiseite. »Was haben die Ärzte im Krankenhaus eigentlich gesagt? Ernährungszustand, Entwicklung, Narben?«
»Lisa, ich war nicht beim Gerichtsmediziner, sondern bei einer Kinderärztin. Und als Vater … als vermeintl i cher Vater konnte ich nicht fragen, wie der Allgemein- und Ernährungszustand von Alena ist. Die Ärztin hat alles routinemäßig durchgecheckt – Gehör, Augen, Lu n gen, Organe – und wirkte zufrieden. Ah, sie schläft.«
Richard ließ sich von mir die rosafarbene Kuscheld e cke geben, breitete sie auf meinem alten grauen Sofa aus und legte Alena vorsichtig darauf ab. Dann langte er tief in die Innentasche seines Jacketts, das über der Stuhlle h ne hing, und zog eine Schachtel Zigaretten heraus. Doch kaum spürte sich das Kind in Rückenlage, schlug es die Augen auf, guckte ins Licht, verzog das Gesicht, machte das Mäulchen auf und begann zu krähen. Dann zu schre i en. Dann zu kreischen.
Richard legte die Zigaretten auf den Tisch. »Was hast du denn, du Lumbadogg?«, gurrte er und nahm sie, mit zwei Fingern das Köpfchen stützend, wieder hoch an seine breite warme, wenn auch befleckte Hemdbrust. S o fort schloss sie das Mündchen, sprudelte ein bisschen Spucke hervor und war still.
»Na, das kann ja heiter werden!«
»Ist doch nur für eine Nacht, Lisa. Du wirst es überl e ben.« Vergnügt wippte er Alena ein wenig und setzte sich dann mit ihr aufs Sofa.
»Vermutlich ist es ein Schreibaby«, stichelte ich, »und die entnervte Mutter hat es in einem Anfall von Überfo r derung und Mordlust im Wald ausgesetzt und Depper hat es an sich genommen … Moment! Da fällt mir was ein. Ist uns nicht
Weitere Kostenlose Bücher