Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit Teufelsg'walt
Vom Netzwerk:
Hellewart wurde anberaumt, über das Katarina nichts sagen konnte, denn sie war nicht dabei gewesen. Aber der Schock saß auch bei ihr tief, denn die Mutter war aufgelöst heimgeko m men und hatte geschrien: »Die wollen mich in die Klapse stecken!« Katarina hatte den Notarzt rufen müssen. »Voll der Horror!« Seitdem nahm ihre Mutter Pillen und war total gleichgültig.
    In der Schuhschachtel fand sich der darauf folgende Beschluss von Richterin Depper, dem zufolge Nina H a bergeiß sicherstellen müsse, dass Tobias regelmäßig den Kindergarten besuchte, weil das für seine soziale und intellektuelle Entwicklung unverzichtbar sei, da er zu Hause zu wenig Anregungen bekomme. Das nächste D o kument stellte eine formelle Entbindung aller Ärzte von der Schweigepflicht dem Jugendamt gegenüber dar, die Nina Habergeiß unterschrieben hatte. Eine Aufklärung über die Folgen habe stattgefunden, unterzeichnet An n e marie Hellewart, Jugendamt Stuttgart, ASD.
    »Heilandsack!«, knurrte Richard.
    »Sonst hätten sie uns Tobi doch gleich weggeno m men«, verteidigte Katarina ihre Mutter.
    »Dürfen die das einfach so verlangen?«, fragte Sally großäugig.
    »Natürlich nicht!«, sagte Richard ungnädig. »Die Schweigepflichtentbindung ist ungültig, wenn sie einfach so verlangt wurde oder wenn der betroffenen Person Konsequenzen für den Fall angedroht wurden, dass sie sie nicht unterzeichnet. Es dürfen ihr auch keinerlei Nachteile daraus entstehen, wenn sie die Erklärung nicht unterschreibt. Die Schweigepflicht der Ärzte ist ein h o hes Gut!«
    So oder so waren Nina Nachteile entstanden. Ihre Är z te hatten geplaudert, offenbar ohne Rücksprache mit ihr. Ein schriftliches Ergebnis der Familienerforschung, die das Jugendamt betrieben hatte, fand sich zwar in der Schuhschachtel nicht, aber es lag ein Zettel darin, auf dem sich Nina zu irgendeiner Zeit, vermutlich nach e i nem Gespräch im Jugendamt, die Worte notiert hatte: »Münchhausen by proxi.«
    »Bitte was?«, fragte Sally.
    Sogar Richard war blank. Sein zerebrales Archiv gab nicht die kleinste Vermutung her. »Münchhausen, der Lügenbaron«, war das Einzige, was ihm dazu einfiel.
    Ich startete meinen Klappcomputer, fragte Wikipedia und referierte: »Auf Deutsch heißt es Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom und ist eine psychiatrische E r krankung, bei der der Erkrankte bei einem anderen Me n schen Krankheiten vortäuscht oder bewusst herbeiführt, um anschließend dessen medizinische Behandlung zu verlangen. Die Erkrankung kann demnach eine subtile Form der Kindesmisshandlung sein, die in 15 bis 35 Pr o zent der Fälle bis zum Tod des Opfers führen kann. Hä u fig ist der Erkrankte ein Elternteil (meist die Mutter) oder ein Sorgeberechtigter.«
    »Wie?«, fragte Katarina aufgebracht. »Versteh ich nicht.«
    »Es heißt, dass deine Mutter es total geil findet, mit Tobi zu Ärzten zu gehen, und deshalb ständig behauptet, er habe eine Krankheit, die er gar nicht hat. Um die Ärzte zu täuschen, macht sie Tobi vorher krank.«
    »Sind die total behindert oder was?« Katarina kreisc h te.
    »Bitte!«, machte Richard. »Du weckst Alena auf!«
    »Der Tobi ist zwar oft krank«, fuhr Katarina mit vor ü bergehend gesenkter Stimme fort, »aber da kann Mama doch nichts dafür. Als Baby hatte er Pseudokrupp und jetzt hat er Asthma und Neurodermitis. Glauben die etwa, Mama schüttet ihm Säure über den Arm oder was? Das wüsste ich aber!«
    Sally schüttelte noch immer den Kopf. »Warum tun Mütter so was? Was haben sie davon?«
    »Meine Mutter tut das nicht!«, rief Katarina, sich vo r sorglich aufpumpend, um weiterzukreischen. »Die dr e hen es sich doch alle, wie es gerade passt.«
    »Katarina«, sagte Richard und schaute dem Mädchen in die Augen. »Mir gefällt deine unbeherrschte Art nicht.« Er sagte es freundlich, sogar interessiert. »Ich würde dir li e ber zuhören, wenn du in normalem Ton mit uns reden würdest. Wenn du das nicht willst, dann würde ich es vorziehen, mich ohne dich weiterzuunterhalten.«
    Katarina duckte sich, versuchte zu lachen, merkte aber, dass der gestandene Mann im cognacfarbenen A n zug mit Weste und Krawatte sich trotz eines winzigen Säuglings im Arm nicht erweichen lassen würde, durch keinen noch so bettelnden Blick aus mädchenhaften Gli t zeraugen und kein Unschuldsgekicher, und nickte plöt z lich einsichtig und verständig. Von da an sprach sie no r mal, zumindest mit uns.
    »Wenn ich das richtig verstehe«, exzerpierte ich aus

Weitere Kostenlose Bücher