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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit Teufelsg'walt
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Esslingen bei Stut t gart kämpfte eine Mutter seit drei Jahren um Herausgabe ihres Kindes. Auch bei ihr lautete die Diagnose Münc h hausen-Stellvertreter-Syndrom, von drei unabhängigen Gutachtern entkräftet, doch der Prozess verzögerte sich. Hinzu kam der Fall Lea Leidenfrost vom Raitelsberg in Stuttgart mit ihren acht Kindern und der von Nina H a bergeiß aus der Neckarstraße in Stuttgart.
    Üppig. Und statistisch unmöglich. Denn diese 24 Ki n der machten bereits mindestens ein Drittel der statist i schen Opferzahl von 30 bis 60 Kindern aus. Und dabei handelte es sich ja nur um die, über die ich im Netz g e stolpert war, weil ihre Eltern die Öffentlichkeit alarmiert hatten. Die Mehrheit der Familien, deren Mutter als Münchhausen-Stellvertreter-Mutter gebrandmarkt wo r den war, hatte vermutlich nicht den Weg ins Internet g e funden.
    Ganz zu schweigen von den Fällen, wo es tatsächlich geschah und das Jugendamt nicht einschritt. Ich fand im Netz auch die Schilderung einer Frau, die als Kind von ihrer Mutter systematisch mit Psychopharmaka wahnsi n nig gemacht worden war.
    Schließlich stieß ich auf die Bamberger Erklärung des Internationalen Symposiums Deutsche Jugendämter und Europäische Menschenrechtskonvention unter Leitung von Annelise Oeschger, Präsidentin der Konferenz der Internationalen Nichtregierungsorganisationen des Eur o parats, die da lautete: »Im Rahmen des Kinder- und J u gendschutzes in Deutschland, namentlich vonseiten der Jugendämter, kommt es zu Verletzungen der Mensche n rechte, insbesondere der von Art. 3 (Verbot der Folter), Art. 6 (Recht auf ein faires Verfahren vor unabhängigen Gerichten), Art. 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens), Art. 13 (Recht auf wirksame Beschwe r de) und Art. 14 (Diskriminierungsverbot) der Europä i schen Konvention zum Schutz der Menschenrechte.«
    Offenbar gingen in Deutschland kinderreiche Eltern ein vergleichsweise hohes Risiko ein, für psychisch krank gehalten zu werden und ihre Kinder weggeno m men zu bekommen.
    Doch was in drei Gottes Namen trieb die Frauen auch, sieben-, acht- oder neunmal zu werfen? Die Frage musste erlaubt sein. Das war doch an sich schon krank! Alle a n derthalb bis zwei Jahre Geburtswehen, überquellende Milchbrüste, durchwachte Nächte, Windelberge, G e schrei wegen Bauchweh und Zähnen, Wäsche waschen, Breichen rühren, füttern, windeln, waschen und so fort. Und kaum war der Kegel aus dem Gröbsten raus, kam der nächste, und alles wieder auf Anfang. Wie musste eine Frau ticken, damit sie sich solchen Kinderwahnsinn antat?
    Ich schrieb meinem Computernotspezialisten und Ha cker Wagner eine Mail mit der Bitte, mir Informati o nen zu beschaffen über Pflegefamilien, Jugendämter und Heime im Raum Stuttgart. Dann machte ich das Licht aus. Irgendwann nachts schrie das Kind. Ich hörte R i chard in der Küche hantieren und überlegte, ob ich au f stehen und ihn und Alena in mein Bett einladen sollte, zögerte aber so lange, dass ich darüber einschlief. Das Gezeter des Säuglings weckte mich auch am Morgen. Alena schrie so ausdauernd und stetig, dass ich aufstand und ins Wohnzimmer tappte. Die Kleine lag alleine in ihren rosafarbenen Decken auf der Couch. Über einem Stuhl hingen, sorgfältig in Bügelfalten gelegt, Richards Sachen. Er duschte.
    »Ich nehme mir heute frei«, verkündete er, als wir beim Kaffee saßen und Alena frisch gewickelt in seinem Arm Ruhe gab, weil sie am Schoppen nuckelte. Ich spu l te derweil die Handyfotos der toten Familienrichterin De p pe r auf meinen Computer.
    Im Stuttgarter Anzeiger, den Oma Scheible mir vor die Tür gelegt hatte, stand noch nichts, aber die Radi o nachrichten meldeten den mysteriösen Todesfall einer Amt s richterin. Die Polizei ermittle in alle Richtungen und könne auch ein Gewaltverbrechen nicht ausschli e ßen.
    Ich starrte auf die Fotos von Deppers Leiche. Die Bi l der waren zu pixelig, um Schleif- oder Kampfspuren im Laub auf dem Boden zu erkennen. Der Zettel, der im G e sicht des Babys gelegen hatte, fiel mir wieder ein. Den hatte ich völlig vergessen gehabt. Wo hatte ich ihn hing e tan? Ach ja, in die Tasche meines Parkas. Später gucken!
    »Warum habe ich Sonja Depper eigentlich kenne n ge lernt, Richard? Wieso hast du sie vorgestern in den Ta u ben Spitz geschleppt?«
    Er hob die Augen und blickte mich über den Berg von Pampersschachteln, Babynahrung und Babywäsche hi n weg an, der meinen Klappcomputer und meinen Kaffe e becher in Bedrängnis

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