Lehmann, Christine
kannten uns auch privat ganz gut. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen, habe ich gehört?«
»Ich bin nicht mit dem Fall befasst, Frau Hellewart«, erwiderte Richard. »Ich leite das Dezernat für Wir t schaftskriminalität.«
»Verstehe.« Hellewart bemühte sich, Amtlichkeit z u rückzugewinnen. »Und Sie wollten mit mir über … über Alena sprechen?«
Ich zog mit sparsamer Bewegung mein Handy aus der Parkatasche , stellte es auf Tonaufnahme und hielt es so unterhalb der Tischhöhe, dass hoffentlich halbwegs Au s sagekräftiges draufkam .
»Alena wurde unmittelbar beim Leichnam von Sonja Depper gefunden«, erklärte Richard. »Man muss davon ausgehen, dass Frau Depper sie bei sich gehabt hat, als sie zu Tode kam, ob durch eigene Schuld oder Frem d einwirkung, wird noch zu klären sein.«
Hellewart war blass geworden. »Ein Baby? Sonja? Das kann ich mir jetzt aber gar nicht erklären.«
»Niemand hat Ihnen Vorhaltungen gemacht oder Sie zu Erklärungen aufgefordert, Frau Hellewart.«
»Nein, ich meine … Gott, ich bin immer noch ganz neben der Kapp. Es ist ein Schock für uns alle. Und di e ses Baby …«
»Ich bin hier, weil ich hoffe, dass Sie mir etwas über das Kind sagen können, Frau Hellewart«, sagte Richard etwas gemütlich blöde.
»Wieso ich?«
»Sind wir nicht auf dem Jugendamt?«
Hellewarts Verwirrung löste sich in Entrüstung auf. »Wie stellen Sie sich das vor, Herr Doktor? Wir können doch nicht alle Kinder dieser Stadt kennen!«
»Also ist es keines von Ihren?«
»Falls Sie damit die Kinder meinen, die von der J u gendhilfe betreut werden, Herr Dr. Weber, so muss ich Sie enttäuschen. Wir betreuen über zweitausend Kinder und ihre Familien. Da kann ich beim besten Willen nicht jedes Kind kennen.«
»Was?«, rief Richard immer noch dummgemütlich. »Sie haben über zweitausend Kinder in Obhut? So vi e le!«
»Nein, in Obhut haben wir nur 251. Aber da kenne ich natürlich auch nur die besonderen Fälle.«
»Zum Beispiel Tobias Vlora«, platzte ich dazwischen. »Was macht den denn so besonders?«
Die Beamtin schaute mich immer noch nicht an. »Wenn Sie unter einem Vorwand gekommen sind, um mit mir eigentlich über Tobias Vlora zu sprechen, dann muss ich Ihnen sagen, dass ich aus Datenschutzgründen keinerlei Auskunft über unsere Kinder geben kann. Und mit Verlaub, Herr Dr. Weber, ich finde es Ihrer Stellung als Staatsanwalt unwürdig, dass Sie sich für so etwas hergeben.«
Plumpe Angriffe auf seine Berufsehre vertrug Richard gar nicht. »Das war keineswegs mein Anliegen, Frau He l lewart«, antwortete er in höflichem Ton mit eisigem A b gang. »Aber wenn Sie das Thema schon anschneiden … Den Juristen verwundert es doch sehr, wie Ihr Amt in di e sem Fall vorgegangen ist.«
»Wir sind gesetzlich verpflichtet …«
»Aber morgens um sechs? Und dann ein Kind aus dem Kindergarten holen! Ohne dass es Abschied nehmen kann.«
Hellewart blickte den eleganten Staatsanwalt verdutzt an. »Wie gesagt, ich kann Ihnen aus Datenschutzgrü n den …«
»Dieser Datenschutz, hinter dem Sie sich verstecken, Frau Hellewart, könnte den Jungen das Leben kosten. Er ist krank. Er hat Neurodermitis, diverse schwere Alle r gien, er braucht Asthmamittel, eine bestimmte Creme, Handschuhe, er darf keine Karotten essen.«
»Wir haben erfahrene Betreuerinnen, Herr Dr. Weber. Und ob der Bub wirklich so krank ist, wie die Mutter b e hauptet …«
Richard lächelte. »Das hätten Sie mir jetzt aber nicht sagen dürfen, Frau Hellewart. Ich bin nicht der Anwalt der Familie, und Frau Habergeiß hat Sie nicht der Schweigepflicht entbunden. Und ich frage mich erns t lich, ob Ihr Vorgehen einer juristischen Prüfung stan d halten würde. Die Familie haben Sie jedenfalls bisher noch nicht benachrichtigt. Und dazu sind Sie gesetzlich ve r pflichtet.«
»Wenn wir das Kind haben, wird die Familie unve r züglich unterrichtet. Das ist Routine.«
»Dann, Frau Hellewart, kann ich nur den Schluss zi e hen, dass Sie gar nicht wissen, dass Sie Tobias Vlora in Obhut haben.«
»Natürlich wissen wir das!«
»Wo ist er denn?«
»Wie gesagt, das kann ich Ihnen aus Datenschut z gründen nicht mitteilen.«
»Frau Hellewart«, sagte Richard eisig. »In Anbetracht der Tatsache, dass Sie den Aufenthaltsort von Tobias Vlora nicht angeben können und eine Benachrichtigung der Mutter fehlt, muss man unter Umständen eine Kind s entführung annehmen.«
»Wir entführen keine Kinder!« Hellewart warf mir e i nen wütenden
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