Lehmann, Christine
schwarzen Hosen vielleicht. Eine Panne großbürgerlicher Erziehung mochte mich in die Punkszene abgetrieben haben und zurück in die helfenden Arme des reichen P a pas, der mich vielleicht mit der Drohung, das Kind lande im Heim, zum Entzug überreden wollte oder so ähnlich.
»Kommen Sie bitte mit«, sagte sie und stieg die Tre p pe wieder hinauf. Helle und freundliche Farben, viel Gelb und Hellgrün, forderten Heiterkeit und Vertrauen in am t liche Gewalt. Grünpflanzen glänzten wie poliert. Die Ecke mit Holzklötzen, Pappbüchern und Holzenten war momentan unbespielt und aufgeräumt. Handläufe und Stühle waren aus jenem hellen Holz, das an christliche Gemeindehäuser erinnerte. Alles ganz nett, dachte man und holte unwillkürlich erleichtert Luft.
Die Frau steuerte auf eine Tür zu, sagte: »Warten Sie g’schwind«, klopfte und ging hinein. Nach wenigen S e kunden kam sie wieder heraus. »Wenn Sie fünf Minuten warten möchten, Frau Daus ist gleich für Sie da.«
»Danke«, erwiderte Richard höflich. »Aber wir wol l ten mit Annemarie Hellewart sprechen, der Leiterin des ASD.«
Genauso gut hätte er den Amtsleiter verlangen kö n nen.
»Frau Hellewart ist …«, stotterte unsere Amtsführerin, »hat … sie ist gerade … in einer Sitzung. Sie sind bei Frau Daus in besten Händen.«
»Dann kommen wir eben ein andermal wieder.« R i chard griff sich mit der freien Hand ins Jackett und zog eine Visitenkarte heraus. »Wenn Sie bitte Frau Hellewart schöne Grüße ausrichten würden«, sagte er ohne den kleinsten Unterton der fordernden Arroganz eines von Macht verwöhnten Mannes, die er ausstrahlte und mit seiner bösen Karte unterstrich. »Dr. Richard Weber, Oberstaatsanwalt, Staatsanwaltschaft Stuttgart.«
»Ah!« Die Frau überlegte nicht lange. »Ich … ich schaue mal … ob … wenn Sie g’schwind dort Platz ne h men wollen. Ich bin gleich wieder da.«
Sie eilte in die Gangtiefen des Amts und bog um eine Ecke.
Wir warteten nicht, wir folgten ihr. Als wir uns der Ecke näherten, hörten wir unsere Amtsführerin sagen: »… und mit einem Säugling. Komische Sache. Übr i gens … ich könnte noch einen nehmen.«
»Du hast doch schon drei, Brigitte«, antwortete eine andere Stimme, ebenfalls weiblich.
Als wir um die Ecke bogen, fuhren zwei Damen au s einander. Die andere fing sich schneller. Frau Hellewart trug heute ein pflaumenblaues Kostüm zur grauen Kur z haarfrisur an einem auf Jugend gehungerten Figürchen, Schaftstiefel, wie sie jetzt alle hatten, und eine Steingu t perlenkette, von Mutterhand in Entwicklungsland aufg e fädelt.
»Sie haben Glück, Herr Dr. Weber«, meldete unsere Führerin. »Ich habe Frau Hellewart gerade getroffen.«
»Ach!«, entfuhr es der ASD-Leiterin, als sie mich e r kannte. Ihre Miene faltete Misstrauen und Autorität i n einander.
»Frau Hellewart«, grüßte Richard. »Schön, dass Sie außer der Reihe Zeit für uns haben.«
»Eigentlich … aber gut, kommen Sie rein.« Sie öffn e te die nächstgelegene Tür zu einem hellen Büro mit Schreibtisch, Flachbildschirm und einem runden Tisch mit Stühlen. Mit kindgerechter Miene wandte sie sich dem Baby auf Richards Arm zu. »Na, du bist ja mal eine ganz Süße. Ich komme lieber nicht näher, ich habe eine leichte Erkältung, und wir wollen sie ja nicht anstecken. Wie heißt sie denn?« Lächelnd blickte sie dem Mann ins Gesicht.
»Ich habe sie Alena genannt«, antwortete Richard. »Darf ich vorstellen? Meine Lebensgefährtin, Lisa Nerz.«
»Ah!«
»Tja, man sieht sich immer zweimal im Leben«, sagte ich.
Hellewart behielt Miene. »Bitte nehmen Sie doch Platz.«
Wir setzten uns an den runden Tisch, Richard und ich wie ein altes Ehepaar nebeneinander, sie gegenüber und in gebührender Entfernung.
»Und was führt Sie zu mir?«
»Sie haben von Sonja Deppers Tod gehört?«, erku n digte sich Richard.
Die Leiterin des Allgemeinen Sozialen Dienstes zog e i nen Schatten über ihre Mimik. »Ich habe es in den Nac h richten gehört. Und ich bin noch immer … fassung s los.«
»Im Radio war nur die Rede von einer Amtsrichterin«, unterbrach ich. »Namen sind nicht gefallen.«
Annemarie Hellewart ignorierte meinen Einwurf. Aber die Visitenkarte des Oberstaatsanwalts entfaltete durc h aus Wirkung.
»Als ich hörte, eine Amtsrichterin sei tot aufgefunden worden«, erläuterte sie Richard, »habe ich natürlich s o fort telefoniert. Ich kann es noch gar nicht begreifen. Sonja und ich, wir kennen uns … wir
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