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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit Teufelsg'walt
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Das Schlimme war: Das Jugendamt hat auch unsere Briefe an sie in die Hand b e kommen und natürlich voll gegen uns ausgelegt. Man hat uns den Umgang mit unseren Kindern für zwei Jahre u n tersagt. Zwei Jahre! Wir zögen sie in unseren Konflikt mit dem Jugendamt hinein, hieß es. Das sei ihrer Eing e wöhnung und Entwicklung abträglich.« Leas Nase war rot angelaufen.
    Ich zog den Adressausdruck aus meiner Jackentasche und suchte nach dem Namen. »Celine ist bei einer Fam i lie in Böblingen.«
    Lea schnappte mit solchem Affenzahn nach dem Blatt, dass es eine Ecke lassen musste, als ich es wegzog.
    »Moment!«
    Tilo und Lea schauten sich an. Er hatte etwas Verlet z tes und Amokläuferisches im Blick, schien mir, das feuchte Glitzern des Ohnmächtigen saß ihm an der Li d unterkante.
    »Was wollen Sie? Geld?«, fragte Lea müde.
    Ich holte Luft, ohne recht zu wissen, was mir dazu ei n fallen sollte, wurde aber von Tilo unterbrochen. »Sie sind Journalistin, sagen Sie. Woher wissen wir, dass Sie nicht vom Jugendamt sind und uns testen?«
    Ich zog meinen Journalistenausweis.
    Tilo studierte die Vorder- und Rückseite und gab ihn mir zurück. »Kann man vermutlich auch fälschen. Aber ich will Ihnen mal glauben.«
    »Sie müssen uns verstehen«, erklärte Lea. »Heimlich und ohne unser Wissen sind wir psychiatrisch begutac h tet worden. Man hat mich zur Verrückten gestempelt, ohne dass ich jemals Gelegenheit bekommen habe, mich zu verteidigen.«
    »Das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom.«
    »Als ob ich meinen Kindern jemals etwas antun kön n te!« Der Schluckauf zerriss sie fast. »Ich habe nicht g e wusst, dass es ein Psychiater ist, der mit mir redet. Er hat mir suggestive Fragen gestellt: Mögen Sie Babys li e ber als ältere Kinder? Babys sind so süß und knuddelig. Mögen Sie das, wenn ein Wesen völlig von Ihnen a b hän gig ist? So die Art. Natürlich sind Babys süß und knu d delig. Würden Sie da was anderes sagen?«
    Ich behielt für mich, was ich sagen würde. »Was war das denn für ein Gutachter? Kam er vom Sonnennest?«
    »Das weiß ich nicht.« Lea zuckte mit den Schultern. »Die stecken doch alle unter einer Decke, die vom Heim, die Pflege familien , die Gutachter, das Jugendamt. Man ist total ohnmächtig. Erst bei der Gerichtsverhandlung habe ich erfahren, was in dem Gutachten steht. Ich sei krank, steht da, ich könne Beziehungen zu meinen Ki n dern nur aufbauen, solange sie hilflos und abhängig sind. Deshalb würde ich ihre geistige und körperliche En t wicklung behindern. Ich würde sie zu lange im Kinde r wagen herumfahren, zu spät auf den Topf setzen. Sobald sie selbständiger werden, würde ich das Interesse verli e ren. Und die Richterin glaubt den Unsinn auch noch. Ich habe sie gefragt, ob sie Kinder hat. Aber das war auch falsch! Sie hat mich gehasst!«
    Ich lächelte. »Sie sind wieder schwanger. Herzlichen Glückwunsch! Wann ist es denn so weit?«
    Ihr Gesicht glänzte. »Im April! Das können sie mir nicht verbieten! Kein Richter der Welt kann mir befe h len, kein Kind mehr zu bekommen. Die Zeiten sind vo r bei.«
    »Aber er kann es Ihnen wegnehmen lassen.«
    »Dann würde ich wieder eines bekommen. Und wenn man mir das auch wegnimmt … Aber wir wandern s o wieso aus. Wir gehen nach Mallorca, ich kriege dort das Kind. Da hat das Jugendamt keine Macht.«
    Ich blickte Tilo an. »Und Ihre anderen Kinder?«
    Sein Gesicht war erloschen. »Ich gehe bis vor den Eu ropäischen Gerichtshof für Menschenrechte.«
    »Sobald wir unsere Kinder zurückbekommen h a ben«, sagte Lea, »werden wir auf Mallorca leben. In Spanien hält man Familien mit vielen Kindern nicht für asozial.«
    Mich fröstelte. »Wie heißt der für Sie zuständige F a milienrichter?«
    Tilo zog einen dicken Ordner hinter dem Computer hervor und legte ihn auf den Esstisch. Ämter pflegten ihre über Leben und Tod entscheidenden Beschlüsse und Bescheide auf Recyclingklopapier auszudrucken, mit Briefköpfen wie vom vierten Durchschlag kopiert.
    »Abschrift, Amtsgericht Stuttgart, Familiengericht«, las ich. Datum und Aktenzeichen. Darunter stand, knapp und amtlich: »Depper, Richterin«.
    »Erlauben Sie?«
    »Darf ich Ihnen was anbieten?«, erinnerte sich Lea der Umgangsformen in Friedenszeiten. »Ein Bier? Einen Kaffee?«
    »Wasser«, antwortete ich. Sie ging. Tilo blieb und schaute mir zu, wie ich den Ordner durchblätterte.
    Am 17. September vorigen Jahres hatte das Jugendamt beim Amtsgericht den Antrag gestellt, den

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