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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit Teufelsg'walt
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Leidenfrosts das Sorgerecht für ihre Kinder mittels einstweiliger A n ordnung zu entziehen. Das Amtsgericht gab dem Bege h ren statt, ohne die Eltern oder Kinder gehört oder sie von der Maßnahme verständigt zu haben. Unterzeichnet De p per, Richterin. Am folgenden Tag erging ein weiterer Beschluss, der den Eltern vorerst jeglichen Umgang mit den Kindern untersagte. Zur Begründung verwies das Gericht auf ein psychiatrisches Sachverständigengutac h ten und äußerte die Überzeugung, dass die Eltern die Trennung von ihren Kindern nicht einfach hinnehmen, sondern versuchen würden, Druck auf sie auszuüben. Unterzeichnet Depper, Richterin. Am selben Tag wurden die Kinder abgeholt, von der Schule, aus dem Kinderga r ten und der Säugling aus dem Krankenhaus. Es lag ein Brief des Oberarztes bei, der sein Entsetzen ausdrückte und protestierte. Die Kinder wurden auf verschiedene Pflegefamilien verteilt.
    »Wer beim Jugendamt ist für Sie zuständig?«, erku n digte ich mich.
    Tilo zeigte mir einen fruchtlosen Briefwechsel mit dem Oberbürgermeister, der Sozialbürgermeisterin und dem Jugendamt, dessen Briefe zunächst von Annemarie Hellewart, dann aber von Amtsleiter Alfons Manteufel unterzeichnet waren. »Da haben wir uns dann den A n walt genommen«, erklärte Tilo.
    Der Anwalt hatte Rechtsmittel eingelegt. Das Obe r landesgericht entschied im Frühjahr und verwies den Fall ans Amtsgericht zurück, mit der Begründung, es seien weder Eltern noch Kinder gehört worden, das Amtsg e richt habe sich vielmehr nur auf die Berichte des Jugen d amts und des psychiatrischen Sachverständigen gestützt, Alternativmaßnahmen seien nicht geprüft worden. In einem Beschluss vom 16. Juni dieses Jahres kam das Amtsgericht, das sich an seinen früheren Beschluss vom 18. September gebunden fühlte, zu dem Ergebnis, dass das Sorgerecht für die Kinder für zwei Jahre zu entziehen sei. Zur Begründung hieß es, die Situation innerhalb der Familie sei schwierig und stelle für die Kinder eine B e drohung dar. Insbesondere Lea Leidenfrost verhalte sich unflexibel, sie sei unfähig und nicht gewillt, die Bedür f nisse ihrer heranwachsenden Kinder zu begreifen und geeignete Erziehungsmaßnahmen mitzutragen. Unte r zeichnet Depper, Richterin.
    »Übrigens«, sagte ich, »diese Richterin ist gestern u n ter unklaren Umständen verstorben.«
    Tilos hageres Gesicht blieb steinern.
    »Die Polizei schließt ein Gewaltverbrechen nicht aus.«
    Die Amokläuferaugen des Vaters rutschten weg. Sein Blick ging an mir vorbei. In der Tür stand Lea mit Bab y bauch, Schluckauf, großen Augen und einem Glas Wa s ser in der Hand. »Es gibt also doch noch Gerechtigkeit auf dieser Welt! Des Teufels Richterin ist tot!«
    »Lea, bitte!«, sagte der Mann leise.
    »Ich werde für sie beten«, sagte sie schluckend. »Sie kann es brauchen.«
    »Gehören Sie eigentlich irgendeiner extremen christl i chen Richtung an?«, erkundigte ich mich.
    »Spielt das irgendeine Rolle?«, fragte Tilo zurück.
    »Nun ja …« Ich dachte an Eltern, die ihren Kindern aus religiösen Gründen medizinische Behandlungen ve r wehrten. »Das kommt drauf an.«
    »Müssen wir eigentlich allen Menschen, die uns b e su chen, unsere Ansichten, Überzeugungen, Essgewoh n heiten und Finanzen darlegen? Frage ich Sie, wie lange Sie Fernsehen gucken? Frage ich Sie, wie viele Ferti g ge richte Sie verwenden und ob Sie einen Kartoffelbrei herstellen können? Sie sagen, Sie wüssten, wo unsere Kinder sind. Wie ich sehe, haben Sie eine Adressliste. Warum geben Sie sie uns nicht einfach und gehen wi e der?«
    Was sollte ich darauf sagen?
    »Oder werden Sie uns die Liste verweigern, wenn wir nicht unterwürfig genug sind, wenn Ihnen unsere Wel t anschauung missfällt? Wollen Sie vorher noch in unsere Schlafzimmer und Mülleimer gucken? Gefallen Ihnen unsere Gesichter nicht? Und wehe, wir sind nicht chris t lich genug, dann entfremden wir die Kinder unserer abendländischen Kultur, oder wir sind zu christlich, dann gehören wir womöglich einer Sekte an. Wehe, wir sind zu dick oder zu dünn, denn dann ist die Gesundheit der Kinder gefährdet, dann droht ihnen Unterernährung oder Diabetes. Und wehe, wir ernähren uns zu bewusst, dann werden unsere Kinder zu Außenseitern erzogen!« Der verwaiste Familienvater schaute mich mit wundem Blick an.
    Ich reichte ihm meine Adressliste. »Aber bitte, kein Wort zu niemandem, woher Sie sie haben. Am besten, Sie schreiben die Adressen ab und verbrennen dieses

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