Lehmann, Christine
gleichzeitiger Kontaktsperre so lange, bis sich gezeigt habe, wie sich die Erkrankungen von Tobias Vlora en t wickelten. Unterzeichnet Depper, Richterin.
Ich fühlte mich plötzlich sehr schwach. Ich knipste draußen die Treppenhausbeleuchtung wieder an, zog K a tarina auf die Füße und brachte sie ein Stockwerk tiefer.
»Ich will meine Mama sehen!«, protestierte sie.
»Das willst du nicht. Solche Bilder kriegt man nie wieder aus dem Kopf gelöscht. Glaub mir. Und jetzt komm.«
Ich zerrte sie noch zwei Treppen hinunter und klinge l te Oma Scheible vom Fernseher weg.
Die Alte begriff nur langsam. »Was? Wer hat sich ombracht? Warum denn?«
In den Glasscheiben der Haustür flackerte Blaulicht. Ich stopfte Katarina zu Oma Scheible in die Wohnung, sprang die Treppe hinunter und öffnete. Es waren die vom Roten Kreuz, das geschickterweise schräg gege n über gleich neben der Staatsanwaltschaft untergebracht war. Ich brachte die Sanis in die Wohnung Habergeiß hinauf. Die stellten gleich fest, dass eine Reanimation nicht mehr möglich war, und forderten einen Arzt an, denn nur der konnte offiziell den Tod feststellen. Zwei Beamte der Dienststelle Ostendstraße erschienen. Dann kam der Arzt. Mit Hilfe der Sanis schnitt er Nina von der Leine, legte sie auf den Boden, zog sie aus, untersuchte sie und füllte den Totenschein aus. Man verzichtete da r auf, den Bereitschaftsstaatsanwalt zu rufen, so eindeutig war der Selbstmord. Nicht einmal ich konnte Mord wi t tern. Die Brille ordentlich beiseitegelegt, zwei vorang e gangene fruchtlose Versuche, sich das Leben zu nehmen. Das sah nicht nach der Inszenierung eines Mörders aus. Es sei denn, er wäre Polizist oder Rechtsmediziner gew e sen.
Der Arzt gab Katarina noch ein Beruhigungsmittel und ging. Der Leichenwagen fuhr vor. Die Sargtrage musste vier Stockwerke hoch. Polizisten des Krimina l daue r diensts nahmen Personalien auf. Beinahe sämtliche Hausbewohner hatten die Nasen vor die Türen gesteckt. Nur die Türken, die unter mir wohnten, nicht. Ich fand in dem ganzen Rauf und Runter immerhin fünf Minuten, um Ruth Laukin vom Stuttgarter Anzeiger daheim anz u rufen. Sie vermittelte mich an den diensthabenden R e dakteur, dem ich fünf Zeilen diktierte, für die gerade noch Raum war in der Stuttgartausgabe, die später in den Druck ging als die landesweiten.
Gegen zehn erschien einer vom Notfalldienst des J u gendamts, ein gewisser Herr Teixel, der sich durchs Haus von unten nach oben fragte, von der Polizei an mich ve r wiesen und von mir runter zu Oma Scheible gebracht wurde.
Katarina rastete total aus. Ihn sehen, das Wort Jugen d amt hören und sich mit Fäusten auf den Mann stürzen war eins. »Sie sind schuld! Wegen Ihnen hat meine M a ma sich umgebracht! Weil Sie ihr Tobi weggenommen h a ben.«
Herr Teixel war zu müde, um die Arme rechtzeitig hochzureißen und sich zu schützen. Vielleicht war er auch daheim damit beschäftigt gewesen, sich mit Hilfe einer Flasche Wein die nötige Bettschwere für eine mü h selige Nacht zu verschaffen.
Er taumelte gegen Oma Scheibles Telefontisch, der krachend umstürzte.
»Muss des sei?«, fragte Oma Scheible.
Ich zog Katarina vom Jugendbeamten weg und hielt sie fest.
»Mörder!«, kreischte sie. »Ihr seid Mörder und Ki d napper! Das seid ihr!«
»Mit Schuldzuweisungen kommen wir auch nicht wei ter«, sagte Herr Teixel.
»Ich gehe nicht ins Heim!«, schrie Katarina.
»Gibt es Verwandte?«, fragte Teixel mich. »Große l tern, Tanten?«
»Ich will zu Tob i! «, heulte Katarina.
»Sie könnte auch erst einmal bei mir wohnen«, hörte ich mich sagen. War ich eigentlich noch zu retten?
»Das geht nicht. Oder sind Sie verwandt?«
Erleichterung nagte an meinem Gewissen.
»Außerdem muss hier wohl eine längerfristige Lösung gefunden werden.«
»Jetz seiet Sie doch net so bös!«, meinte Oma Scheible. »Sie sehet doch, das Mädle ka nemme.«
»Vielleicht, wenn man ihr sagen würde, wo ihr Bruder Tobias ist, und wenn sie zu ihm dürfte …«, schlug ich vor. »Das Jugendamt hat ihn vor zwei Tagen abgeholt.«
»Dazu kann ich nichts sagen.«
»Die arme Kender!«, rief Oma Scheible. »Kennet Sie denn gar koi Gnad?«
»Wenn Sie mich auch mitnehmen, dann bring ich mich um!«, brüllte Katarina.
»Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als dich ins Bürgerhospital einweisen zu lassen«, sagte Herr Teixel und holte sein Telefon aus der Tasche. »Da kommen alle hin, die sich umbringen wollen.«
Katarina klappte
Weitere Kostenlose Bücher