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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit Teufelsg'walt
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ein Mädchen. Die sind da nicht so wic h tig. Zum Glück!«
    »Ah! Offen!« Schlösser gaben immer plötzlich nach. Mit dem Spanner konnte ich den Kern im Gehäuse dr e hen und die Falle öffnen. »Du bist dran«, sagte ich, trat zurück und steckte Spanner und Pick ins Etui zurück.
    Katarina stieß die Tür auf. Der Flur war stockfinster. Sie griff nach dem Lichtschalter innen neben der Tür und stutzte. »Das Licht geht nicht.«
    Ich zog sie am Arm wieder aus der Wohnung. Es gab so Momente, da spürte man, dass etwas nicht stimmte. Nicht nur, weil das Licht nicht mehr tat. Vielleicht war es die völlige Abwesenheit menschlicher Geräusche, vie l leicht eine eigenartige Kälte, vielleicht ein Geruch, den ich bewusst noch nicht wahrnahm.
    »Warte du hier!«
    Ich ließ ein an den Nägeln knabberndes Mädchen auf der Türschwelle zurück und betrat in dem Augenblick, wo das Treppenhauslicht wieder verlosch, den Korridor. Katarina beeilte sich, das Licht wieder anzumachen, so dass ich die Kommode mit Telefon rechtzeitig sah, bevor ich dagegenrannte. Ein zum Brief gefaltetes Blatt Papier segelte auf den Fußboden. Ich hob es auf und legte es zurück.
    Die Sicherheitsstrahler von der Staatsanwaltschaft g e genüber erhellten die Fenster der Küche. Das Kinde r zimmer lag im Dunkeln, das einzige Fenster des Woh n zimmers wies ebenfalls zur Neckarstraße hinaus. Es s tisch, Couch, Stuhl und Fernseher standen im Dämme r licht der Stadtnacht.
    Ich tippte die Badezimmertür an. Jetzt roch ich es b e wusst: Urin.
    Schemenhaft erkannte ich die unförmige Gestalt von Nina Habergeiß. Sie hing in der Duschkabine. Das Str a ßenlicht, das durch die Strukturscheibe fiel, reichte, dass ich das Seil erkannte, das sich von ihrem Hals zur Duschkopfhalterung spannte. Ich zog mein Handy und aktivierte die Taschenlampenfunktion.
    Ninas Gesicht war aufgequollen, die Augen standen halb offen. Die Haut fühlte sich kalt an, am Kiefer hatte die Leichenstarre bereits eingesetzt, unter der Nase hatte sich auf dem hellblauen Kunstfaserpullover, den sie trug, ein dunkler Rotzfleck gebildet, der schon einzutrocknen begann. Eine dreisträngig verzwirnte Wäscheleine schnitt der Frau tief ins Halsfett. Sie war gelb. Der Geruch nach verschwitztem Eisen ließ mich die Leuchte nach unten richten. Blut sah immer aus wie Hochglanzlack mit mi k roglatter Oberfläche. Es war aus einem Ritz im Handg e lenk gegen die Plastikduschwand gespritzt, die Hand hi n untergeronnen, auf das im Duschbecken verklemmte Bein getropft und hatte sich im Becken gesammelt, weil Nina mit ihrem Hintern den Abfluss verschloss. Eine Ra sierklinge klebte im Blut auf dem Jeansstoff des Obe r schenkels.
    Puh!
    Zwischen Duschwanne und Toilettenschüssel standen ordentlich gepaart die Schuhe, Ninas Brille lag auf der Waschbeckenablage. Einziges Zeichen von Unordnung war die aufgerissene Banderole der Wäscheleine, die 1,19 gekostet hatte, im Waschbecken. Außerdem en t deckte ich im Abfluss eine aufgebogene Büroklammer aus Kupfer. Die Doppellöcher einer Steckdose neben dem Spiegel fielen mir ins Auge. So mochte sich der Kurzschluss erklären. Nina hatte zuerst versucht, sich mit elektrischem Strom umzubringen. Dann hatte sie das R a siermesser genommen, und weil auch das nicht gleich zum Tod führte, hatte sie es mit dem Strick vollendet. Ich machte zwei Handyfotos und kehrte zu Katarina zurück.
    Angst stand ihr im Gesicht. »Was ist? Was ist mit Mama? Ist sie … Ist sie tot?«
    Ich hielt sie fest. »Da kannst du jetzt nicht rein.«
    »Aber ich …« Sie versuchte sich loszureißen. Dann schrie sie: »Mama!«, gellend und verzweifelt. Und plöt z lich hatte sie keine Kraft mehr und rutschte mit dem R ü cken an der Wand zu Boden.
    Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen tippte ich den Polizeinotruf und meldete einem diensthabenden Beamten den Fund einer leblosen Person, erhängt, au ge n scheinlich Suizid.
    »Fassen Sie nichts an, verlassen Sie bitte die Wo h nung, aber bleiben Sie vor Ort.«
    Ich versprach’s, ging dann aber noch einmal hinein, um mir mit Hilfe der Displayleuchte meines Telefons den Brief anzuschauen, den ich vorhin von der Kommode geweht hatte. Wahrscheinlich hatte mein Tastsinn in der Dunkelheit das charakteristische Kopierpapier erkannt. Es handelte sich um den Beschluss mit zu Brei kopiertem Briefkopf des Amtsgerichts Stuttgart in der Hauffstraße vom Mittwoch über die Inobhutnahme und vorläufige Unterbringung von Tobias Vlora in einem Heim bei

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