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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit Teufelsg'walt
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Frau Habergeiß war vermutlich labil. Deshalb hat man ihr wohl auch vorübergehend das Aufenthaltsb e stimmungsrecht für Tobias entzogen. Aber ich kenne den Fall nicht und möchte hier nichts …«
    »Aber warum taucht Tobias Vlora auf keiner Liste auf?«
    Teixel guckte mich an. »Was für einer Liste?«
    »Dienstgeheimnis«, sagte ich. »Tatsache ist, er ist keiner Pflegefamilie und keinem Heim zugeordnet. Und wissen Sie, als Journalistin denke ich da sofort an Ki n derhandel. Die Mutter ist tot, die Schwester noch nicht volljährig. Und bis sie volljährig ist, ist Tobias we g adoptiert und anonymisiert, und kein Hahn kräht mehr nach ihm. Außer vielleicht Katarina, aber die hat mit ihrem Leben so viel zu tun, dass sie nicht laut genug kräht.«
    »Das ist völlig ausgeschlossen! Das würde ja bede u ten …«
    »Ja, es bedeutet, dass jemand im Jugendamt daran b e teiligt ist, jemand an einer Schaltstelle mit Aktenhoheit.«
    »Frau Hellewart?« Teixel überlegte. »Nein. Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.«
    Wenn einer schon »eigentlich« sagte, zweifelte er b e reits.
    »Aber komisch ist es schon.« Er schlitzte die Augen und blickte in die alten Rechnungen, die er mit was weiß ich wem in seiner Behörde offen hatte. »Kann ich Sie morgen anrufen? Haben Sie eine Karte?«
    Das hatte ich nicht. Ich diktierte ihm meine Nummer in sein Handy.
    Er steckte es in seinen Mantel, blickte sich kurz um – es war alles dunkel und still – und senkte die Stimme. »Und wissen Sie was? Ich habe jetzt heute Abend diese Katarina auch gar nicht hier angetroffen.«

17
     
    Die Leiche war weg, die Spuren dokumentiert, die Wo h nung wieder frei. Ein Polizist hatte mir den Wohnung s schlüssel in die Hand gedrückt. Nun musste Katarina hinein, um sich ein paar Sachen für die Nacht zu holen. Z u sammen mit mir warf sie einen Blick ins Badezimmer. Die Reste der Wäscheleine, die sich an der Duschhalt e rung kringelte, das verschmierte Blut in der Duschwanne und auf dem Kachelboden waren Schock genug. Katarina heulte ausgiebig.
    Ich schaute mir derweil meinen zerebralen Notizzettel an und fragte mich, warum Nina nach ihrem Kurzschluss mit der Büroklammer die Sicherung nicht wieder eing e schaltet hatte, um ein Rasiermesser zu suchen und bevor sie das Seil zum Erhängen an die Dusche knüpfte. Die Antwort kam mir sofort: weil es heller Tag gewesen war. Damit war das auch geklärt.
    In meiner Wohnung paffte Katarina zwei Zigaretten hintereinander und machte sich Vorwürfe. »Wir haben gestritten heute Morgen. Sie hat wieder vergessen, mich zu wecken. Sie war immer voll breit von den Medik a menten. Ich habe sie angeschrien, dass sie sich zusa m menreißen soll. Ich hab nie Geduld gehabt mit ihr.«
    »Deshalb hat sie es nicht getan«, sagte ich und ve r fluchte den Egoismus dieser Mutter, die sich von ni e mandem hatte helfen lassen, auch von mir nicht. Sie hatte sterben wollen. Das war ihr eigentliches Ziel gewesen. Solche Menschen gab es. Womöglich musste man von Glück sagen, dass die Kinder heute nicht zu Hause gew e sen waren, vor allem der kleine Tobias nicht. Sonst hätte sie zuvor ihn getötet. Auch so was kam vor. Katarina hä t te wohl die Kraft gehabt, sich zu wehren. Aber Tobias nicht.
    Und wenn ich heute noch mal hochgegangen wäre, beispielsweise, um für meinen Spaziergang mit Cipión und Alena den Kinderwagen zu leihen, wenn ich dann mit ihr ins Gespräch gekommen wäre … schnell ve r scheuchte ich die Wenns. Sie waren die Rache der Selbstmörder an uns, die wir übrig blieben, dazu veru r teilt, uns Vorwürfe zu machen, weil wir uns zu wenig gekümmert hatten, zu wenig interessiert, zu wenig g e liebt.
    Während Katarina rauchte und rastlos in meiner Wo h nung umherging, rief ich Sally im Tauben Spitz an. Der Wirt nahm ab. Er schätzte es nicht, wenn man Sally a n rief, aber ich flirtete ihn an und entschuldigte mich und Sally mit einem absoluten Notfall. Als sie dran war, klang sie so eingeschnappt, dass ich meinen ursprüngl i chen Plan änderte und sie nur fragte, wann sie heute Schluss habe, denn ich wolle sie mit dem Auto abholen.
    »Das weißt du doch!«, antwortete sie und legte auf.
    Ich erklärte Katarina, dass sie bei einer Freundin von mir schlafen werde, weil sie bei mir Gefahr laufe, mo r gen in aller Frühe vom Jugendamt abgeholt zu werden, packte ihre paar Sachen in eine Tasche und fuhr mit ihr ins Bohnenviertel. Sie redete ununterbrochen, erzählte chronologisch undurchschaubare

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