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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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weil sie eben gerade nicht wahnsinnig erfolgreich war, sondern schon ziemlich früh versandet ist.
    »Ach, das war doch keine große Sache«, sage ich, obwohl es damals schon ziemlich groß für mich war. Immerhin hatte ich für ein, zwei Jahre das Gefühl, etwas zu machen, was ich halbwegs gut konnte und was mir richtig Spaß machte.
    Alles fing an, als ich gerade nach Berlin gekommen war und natürlich erst einmal im Nachtleben verlorenging. Irgendwann begann ich am Computer rumzuspielen und kleine Lieder zu produzieren, ähnlich denen, die damals in den Clubs liefen. Meine früheren musikalischen Versuche am Klavier waren zwar ohne nennenswerte Erfolge geblieben – ich erinnere mich an schrecklich peinliche Vorspielnachmittage in der Musikschule –, doch das Musikmachen am Rechner war anders. Irgendwie durchschaute ich die musikalischen Strukturen von elektronischer Musik damals ziemlich schnell, jedenfalls dachte ich das, und die ersten Ideen fand ich gar nicht so schlecht. Auf einer Party lernte ich dann einen Typen kennen, den alle nur Prince Ital Joe nannten, weil er irgendwie adlig war und mindestens so lange Rastalocken hatte wie der echte Prince Joe. Außerdem war er ebenfalls Sänger. Bis jetzt allerdings nur in einer Indie-Band, die exakt wie die Strokes auf ihremersten Album klang, nur viel schlechter. Prince Ital Joe und ich verstanden uns, er besuchte mich in meiner WG, sang ein bisschen auf meinen Tracks, und es klang eigentlich nicht schlecht, selbst wenn sich das Ganze mehr oder weniger wie die üblichen Elektroclash-Sachen um die Jahrtausendwende anhörte. Prince Joe hatte ein paar Kontakte zu Clubs, wir spielten das eine oder andere Live-Konzert, und es lief wider Erwarten ganz okay. Vor allem besser als Prince Joes Indieband, und irgendwann kam ein Typ von einer klitzekleinen Berliner Plattenfirma und wollte ein Mini-Album von uns herausbringen. Mit einer Mini-Auflage, versteht sich. Ein paar Berliner DJs legten unsere Songs sogar bei Partys auf, wir spielten noch ein paar Gigs, produzierten eine zweite Single, was die großen Plattenfirmen jedoch überhaupt nicht interessierte. Vielleicht hätten wir uns auch einen Manager zulegen sollen, aber Prince Joe hatte zu viele Dokus über berühmte, zu früh verstorbene Musiker gesehen, die von zwielichtigen Typen ausgenommen wurden, und bekam Angst, dass genau das auch uns passieren würde, wenn wir uns aufs profitgeile Musikgeschäft einließen: ausgenommen werden und zu früh sterben. Allerdings machten wir gar keinen Profit. Irgendwann ging dann unsere Plattenfirma pleite, oder der einzige Angestellte kündigte, oder der Chef hatte endgültig zu viel Koks im Ostgut gezogen – es war nicht ganz klar. Prince Ital Joe schnitt jedenfalls seine Rastas ab, ging fürs Referendariat in die norddeutsche Tiefebene und wurde ein angesehener Musik- und Gemeinschaftskundelehrer. Und ich landete im Kleinanzeigenbusiness. Das war die kurze und ziemlich unspektakuläre Geschichte meiner Musikkarriere. Seit es die Stereotypen nicht mehr gibt, bevorzuge ich es, mich nichtmehr daran zu erinnern, aber seltsamerweise entwickeln junge Hipster, die damals keine zwölf Jahre alt waren und nur die Backstreet Boys gehört haben, plötzlich ein Interesse an uns.
    So in etwa erzähle ich das auch Christina und Dr. Alban, die mir gebannt zuhören. Kurt gähnt derweil gelangweilt, er kennt die ganze Geschichte ja aus eigener Anschauung.
    »Das hätte ich nicht gedacht.« Christina sieht mich entgeistert an.
    »Traust du mir so was nicht zu?« Ich versuche, eingeschnappt zu wirken.
    »Das meine ich nicht. Ich hätte eben nicht gedacht, dass jemand wie du, mit so einer Vergangenheit, sich damit zufriedengibt, Kleinanzeigen abzutippen.«
    »Ich bin ja nicht zufrieden«, sage ich, aber Kurt schaut schon so komisch. Wenn er eins hasst, dann sind es Beziehungsgespräche in der Öffentlichkeit – und das hier entwickelt sich gerade zu einem besonders ernsten. Zum Glück ist der Doktor da.
    »Hast du denn noch eine Vinylpressung von eurer ersten EP?«, fragt er aufgeregt.
    »Müsste irgendwo bei mir rumliegen, ich kann dir mal eine mitbringen.« Dr. Albans Augen leuchten freudig, ich glaube, ich habe ihn noch nie so glücklich gesehen. Endlich habe ich es geschafft, ihm so etwas wie Anerkennung abzuringen.
    Christina tippt konzentriert auf ihrem iPhone rum.
    »Was machst du da?«, frage ich, aber sie hat schon ein Video von uns angeklickt. Seit es überall Internet gibt, ist man

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