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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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all die Jahre verpasst habe.«
    Wie wird wohl Kurts über Jahre hinweg perfektionierter Sarkasmus mit der modischen Postironie von Christina und Dr. Alban zusammenpassen? Ich habe ein bisschen Angst vor dem heutigen Abend, Kurt ist nicht gerade – Vorsicht, schreckliches Wort – gesellig. Eigentlich mag ich das an ihm, Kurt ist eben ein bisschen misanthropisch. Sich immer wieder auf neue Leute einzulassen, hat er mir einmal erklärt, sei ihm mit der Zeit einfach zu anstrengend geworden, inzwischen habe er ein ausreichend großes sozialesUmfeld und bald ja auch eine eigene Familie, da sei er nicht mehr darauf angewiesen, jemand Neues kennenzulernen.
    »Du bist irgendwie so widersprüchlich«, sage ich in Doc Browns Psychoanalytikertonfall. »Einerseits hasst du Menschen, andererseits setzt du selbst bald einen in diese ach so schreckliche Welt.«
    Kurt blinzelt mich böse an. Bin ich jetzt zu weit gegangen?
    »Oh, der große Philosoph hat mal wieder einen vermeintlichen Widerspruch aufgedeckt.«
    Natürlich hackt Kurt sofort zielstrebig auf meinem wunden Punkt rum (also auf einem der vielen). Ich neige nämlich dazu, mein Philosophiestudium zu vergessen. Eigentlich hat es ja lange genug gedauert, aber seit ich das hübsche Abschlusszeugnis mit dem großen Siegel der Philosophischen Fakultät in einem Ordner abgeheftet und seitdem nie mehr hervorgeholt habe, werde ich das Gefühl nicht los, dass ein abgeschlossenes Studium gar nicht so wahnsinnig viel wert ist. Ich bereue natürlich nicht, studiert zu haben – ja, ich habe tatsächlich etwas gelernt, auch wenn ich nicht sagen könnte, was genau –, etwas daraus gemacht habe ich bis jetzt allerdings nicht. Aber man muss ja nicht aus allem etwas machen. Ich will schließlich kein »Macher« sein, ebenfalls ein ganz schreckliches Wort. Zum Beispiel das habe ich beim Philosophiestudieren gelernt. Manchmal ist »machen« nämlich nicht der Ausweg aus jeder Misere, hin und wieder sollte man auch »denken«. Dieses »Denken« wird mittlerweile sehr unterschätzt, immer soll man aktiv sein, handeln, schaffen, bauen, erledigen, arbeiten und auf keinen Fall stillstehen. Die alten Griechen waren zwar auch ein ziemlich aktives Volk, Krieg und so, klar, aber an dieMacher von damals erinnert man sich heute eher selten, wogegen Platon immer noch ziemlich aktuell ist, und der soll ja auch eher der nachdenkliche Typ gewesen sein – so wie ich, yeah! Habe ich mich gerade ernsthaft mit Platon verglichen?
    Zum Glück habe ich das alles gerade nur gedacht und nicht gesagt, Kurt hätte mich endgültig für verrückt erklärt. Er wirkt ohnehin noch leicht genervt und schlürft düster dreinblickend an seinem Getränk. Na toll, gerade jetzt musste ich unbedingt mit dem leidigen Kinderthema kommen. Vielleicht ist Kinderkriegen wirklich kein Widerspruch für Kurt, sondern einfach nur konsequent: Die Welt ist schlecht, nervt furchtbar, aber wir können dem Ganzen etwas Positives entgegensetzen: ein Kind. Das ist wahrscheinlich zu – oho – philosophisch gedacht, dennoch glaube ich, dass der Gedanke gar nicht so falsch ist.
    Ich sinke in meinen Sperrmüllsessel zurück und sehe, wie Christina und Dr. Alban in die Bar spazieren.
    »Da sind sie«, sage ich zu Kurt und hoffe, dass er nicht mehr allzu schlimm eingeschnappt ist.
    Ich stelle alle untereinander vor, sie reichen sich artig die Hände, und Kurt gibt sich wirklich Mühe, nett und aufgeschlossen zu wirken. Er ist eben doch – Pathos hin oder her – mein bester Freund.
    Ein paar Mate-Wodka und No-Name-Biere später wundere ich mich schon fast gar nicht mehr, wie perfekt das alles funktioniert. Gerade haben sich Dr. Alban und Kurt eine halbe Stunde lang angeregt über Bauhausarchitektur und irgendwelche Designer unterhalten, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Der Doktor scheint sich wirklich auf allen Gebieten auszukennen. Christina ist auch wieder ganzdie Alte, jedenfalls lässt sie sich nichts anmerken, erzählt von Konstanz, ihrer Heimatstadt, die sie bald mal wieder besuchen wolle, schließlich hätte sie ja jetzt wieder mehr Zeit.
    Kurt regt sich mal wieder über irgendeinen schlechten Künstler oder Architekten auf und überhaupt über die dummen Leute, die gutes Design nicht von schlechtem unterscheiden können. »Manchmal kotzt mich mein Job wirklich an«, ruft er etwas zu laut.
    »Was macht dir denn Spaß?«, mische ich mich ein. »Gibt es überhaupt Dinge, die du gern machst, ich meine jetzt völlig

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