Lehtolainen, Leena
Spaziergang durch die schmalen, von Holzhäusern gesäumten Straßen hatte man fast das Gefühl, im Ausland zu sein. Die Klinik war klein und anheimelnd und roch nicht nach Tod, das Familienzimmer jedenfalls war voller Leben. Die drei kleinen Jensens saßen neben Eva auf dem Doppelbett, Antti hatte es sich im Schaukelstuhl bequem gemacht, Lauri und Kirsti schilderten um die Wette den Verlauf der Geburt. Jucka Jensen war in die Kantine gegangen, um für die ganze Bande Eis zu holen.
Ich hatte noch nie das Bedürfnis verspürt, loszubrabbeln, sobald ich ein Baby erblickte. Die seltsame Würde, die die säuerlich duftenden, faltigen Gesichter ausstrahlten, ließen es eher angebracht erscheinen, besonders respektvoll mit Neugebo-renen zu sprechen. Allmählich erschien mir der Gedanke an ein eigenes Baby immer weniger befremdlich, ich hatte mich daran gewöhnt. Wir ertrugen den jensenschen Zirkus eine halbe Stunde lang, dann fuhren wir nach Inkoo zu Anttis Eltern, die wir seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen hatten. Seit sie vor zwei Jahren ihr Haus in Tapiola verkauft hatten, kamen sie selten in die Hauptstadtregion. Wir hatten beschlossen, ihnen noch nichts von unserem Familienzuwachs zu sagen. Mein Schwiegervater sah mich zwar fragend an, als ich das Glas Wein ablehnte, das er uns als Willkommenstrunk anbot, doch dabei blieb es. Meine Eltern waren weniger feinfühlig, sie hätten uns sicher ausgehorcht.
»Wollen wir ihnen nicht doch schon von dem kleinen Sarkela erzählen?«, fragte Antti, als wir nach einer Skitour auf dunklem Eis in der Sauna saßen.
»Klein Sarkela? Wie kommst du denn darauf, dass das Baby Sarkela heißen wird?«, neckte ich ihn. Über den Nachnamen hatte ich mir bisher noch gar keine Gedanken gemacht.
»Na, wer die Mutter ist, weiß man immer, aber beim Vater kann man nie wissen«, grinste Antti. »Im Ernst, das Kind hat sowieso eine engere Bindung an dich, auch wenn ihr nicht denselben Nachnamen tragt.«
Sein Argument war stichhaltig, das gab ich zu, räumte auch ein, dass Sarkela ein wesentlich seltenerer Name war als Kallio, festlegen wollte ich mich aber noch nicht. Als wir aus der Sauna kamen, schauten sich meine Schwiegereltern gerade eine der unzähligen Fernsehdiskussionen an. Diesmal ging es um Naturheilkunde, ein Thema, für das sich vor allem meine Schwiegermutter interessierte. Sie hatte sich bereits eingehend nach der alternativen Geburtshilfe in Tammisaari erkundigt, wo Eva fast die ganze Eröffnungsperiode in einem Wasserbecken gelegen hatte. Ich hörte mir die Ausführungen über die bornierte Schulmedizin, die vor gar nicht langer Zeit selbst Akupunktur als Humbug betrachtet hatte, eine Weile an und wollte gerade beschließen, lieber ins Bett zu gehen und zu lesen, als ich eine bekannte Stimme vernahm.
»Meiner Ansicht nach sollte die traditionelle Medizin Bereiche wie Astrologie oder Homöopathie keinesfalls ausgrenzen«, sagte Kari Hanninen. Auf dem Bildschirm wirkte er nicht weniger charismatisch als in natura. Kurz entschlossen setzte ich mich neben meine Schwiegermutter aufs Sofa und hörte mir Hanninens Sermon über das Zusammenwirken von Astrologie und Psychoanalyse an. »Die Grenzwissenschaften und die Medizin haben dasselbe Ziel. Wir alle wollen den Menschen helfen. Aber während die Medizin, und damit meine ich auch Psychologie und Psychiatrie, häufig die Gefühle des Menschen ignoriert und sich nur auf die Physiologie konzentriert, etwa auf die medika-mentöse Dämpfung von Emotionen, will die Astrologie dem Menschen helfen, sich selbst zu erkennen und richtig zu handeln. Aus dem Geburtshoroskop eines Menschen kann man beispielsweise seine Neigung zur Trunksucht erkennen. Einem solchen Menschen werde ich nicht sagen, oje, die Sterne haben bestimmt, dass du Alkoholiker wirst, dagegen ist nichts zu machen, sondern ich suche im Horoskop nach den heilenden Kräften.«
Der weibliche Teil des Studiopublikums applaudierte. Hanninen sprach überzeugend, das war nicht zu bestreiten. Auch bei seinem Telefonat mit Halttunen hatte er den Eindruck vermittelt, dass ihm dessen Schicksal wirklich am Herzen lag. Dennoch ärgerte ich mich, ihm meine Geburtsdaten gegeben zu haben.
Genau genommen wollte ich doch lieber nicht wissen, was er in meinen Sternen sah – oder zu sehen glaubte.
»Sie sind bei Ihrer Arbeit den unterschiedlichsten Menschen begegnet und in vielerlei Situationen geraten. Markku Halttunen, der vor zwei Wochen in Nuuksio einen Polizisten und sich selbst
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