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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Weiss wie die Unschuld
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mich setzte, merkte ich, dass meine Beine nicht auf den Boden reichten. Da männliche Polizisten mich im Allgemeinen um mindestens zwanzig Zentimeter überragen, war mir dieses Problem nicht neu.
    Dennoch kam ich mir vor wie eine Flickenpuppe, die man auf der Bettkante abgesetzt hat.
    Die Ausschussmitglieder stellten sich vor, hohe Beamte aus der Polizeidirektion und dem Innenministerium, die mir vor Beginn der eigentlichen Vernehmung ihr Beileid zum Tod meines Kollegen aussprachen. Alles verlief kontrolliert, plan-mäßig und korrekt. Von mir wollte man Fakten hören, sonst nichts. Eine offizielle Rolle hatte ich bei der Operation ohnehin nicht gespielt, ich war nur dabei gewesen, weil ich Palo und Halttunen kannte.
    Die Herren wollten offenbar darauf hinaus, dass es sich bei Halttunen um einen gefährlichen Psychopathen handelte, dessen Verhalten unberechenbar gewesen war, weshalb der Überra-schungsangriff des Antiterrortrupps gerechtfertigt war. Ich antwortete so ehrlich wie möglich, obwohl ich mich vor allem über die tendenziösen Suggestivfragen eines der Herren Polizeiräte ärgerte. Kari Hanninen hätte sicher seine Freude an dem Ausschuss gehabt. Mir war es letzten Endes egal, was ich sagte, Palo wurde davon nicht mehr lebendig. Am Dienstag sollte er begraben werden. Vielleicht hätte man ihn durch eine Verzöge-rungstaktik retten können, vielleicht auch nicht.

    »Sie haben im letzten Jahr gemeinsam mit Hauptmeister Palo die polizeilichen Ermittlungen gegen Markku Halttunen durchgeführt. Wie erklären Sie sich, dass er gerade auf Sie beide einen derart unbändigen Hass entwickelte?«
    Mit anderen Worten: Was hatten wir bei den Vernehmungen falsch gemacht?
    »Sie haben über ein Jahr mit Hauptmeister Palo zusammengearbeitet. Wie war er als Kollege, wie verhielt er sich in Krisensituationen?«
    Im Klartext: Hatte Palo die Situation vielleicht selbst vermasselt, konnte man ihn zum Sündenbock machen?
    »Palo hatte Angst. Ich auch. Aber Personenschutz bekamen wir nicht. Manchmal beklagen sich Bürger, die bedroht werden, die Polizei unternehme nichts, bevor tatsächlich etwas passiert.
    Heute verstehe ich diese Menschen besser.«
    »Was hätte man Ihrer Ansicht nach in der gegebenen Situation tun sollen?«
    Uns Leibwächter geben. Aktiver nach Halttunen fahnden. Die Vollzugsanstalt besser bewachen. Dem Weihnachtsmann schreiben, er solle alle braven Kinder beschützen. Ich schlenker-te frustriert mit den Beinen und starrte in die reservierten Gesichter der fünf Männer, denen es weniger darum ging, den Ablauf der Ereignisse zu klären, als darum, die Polizeikräfte reinzuwaschen. Der Prozess würde sich über Jahre hinziehen, bevor das erste Urteil gefällt wurde, war mein Kind längst auf der Welt, und ganz gleich, was am Ende herauskam, irgendwer würde unzufrieden sein. Ich war Polizistin geworden, um für Wahrheit und Recht einzutreten, und hatte aus demselben Grund, wenngleich bereits skeptischer geworden, Jura studiert.
    Auch jetzt noch zwang ich mich, an diese Ideale zu glauben, obwohl sie längst ihren Glanz verloren hatten. Wenn ich nicht mehr an Wahrheit und Recht glaubte, konnte ich meinen Beruf an den Nagel hängen.

    Die Vernehmung dauerte nicht einmal eine Stunde, doch danach war ich völlig erschöpft, als hätte ich die ganze Zeit auf einem Seil getanzt und versucht, zwischen den erwünschten Antworten und meinen Gefühlen die Balance zu halten. Die Welt war grau und vom Zugfenster aus betrachtet bereits dunkel, die Lichter an der Bahnstrecke strahlten durch mein Spiegelbild auf der Scheibe. So sieht jeder die Welt, durch sich selbst gefiltert, von der eigenen Stirn überschattet. Der eine sieht durch sein Gesicht hindurch die Rechtfertigung für einen Mord, ein anderer sieht einen Grund, Farbige zusammenzuschlagen, ein dritter die Notwendigkeit, Pelztiere aus ihren Käfigen zu befreien. Alles was ich zu tun hatte, war, den Menschen zu finden, aus dessen Sicht es richtig war, Elina und Aira zu töten.

    Sechzehn
    Es war Jahre her, seit ich das letzte Mal ein Neugeborenes in den Armen gehalten hatte. Deshalb kam mir das sieben Pfund schwere Mädchen der Jensens federleicht vor. Es wog nur halb so viel wie unsere Katze Einstein.
    »Nur keine Bange, Babys sind überraschend stabil«, lachte Kirsti Jensen. Das Kind lag friedlich in meinen Armen, der kleine Mund machte Saugbewegungen. Ich hatte mich auf den Wochenendausflug nach Tammisaari gefreut. Die Stadt lag im Winterschlaf, doch beim

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