Lehtolainen, Leena
mit Scheuklappen durch die Welt zu gehen, alles zu verurteilen, was ihm fremd war, angefangen bei den chinesi-schen Gerichten, die in der Polizeikantine ab und zu auf der Speisekarte standen. »Wenn man vom Teufel spricht …«, murmelte ich, als Pertsa just in diesem Moment an der Tür stand.
»Die Sache mit den Molotowcocktails …«
»Ja?«
»Taskinen und ich bearbeiten den Fall. Wir haben auch schon Verdächtige, dieselben Glatzköpfe, die auch schon anderswo in der Hauptstadtregion Zoff gemacht haben. Ganz schön feige, die sollten lieber Mann gegen Mann kämpfen.«
»Halt keine Vorträge. Wozu braucht ihr mich?«
»Die Mutter der Familie müsste vernommen werden, aber sie darf sich nicht mit fremden Männern in einem Zimmer aufhalten, wenn ihr Ehemann nicht dabei ist. Und das erlauben wieder unsere Gesetze nicht, zumal die Frau Finnisch spricht. Da hast du die Internationalität, für die du immer schöne Reden schwingst. Es dauert sicher nicht lange.«
»Okay, gib mir fünf Minuten.« Ich hob den Finger von der Unterbrechungstaste, aber Kirstilä hatte bereits aufgelegt. Eine Frage hatte ich ihm noch stellen wollen, doch das konnte warten.
Die Mutter der Familie El-Ashram beantwortete meine Fragen leise und einsilbig. Es war seltsam, mit einem Menschen zu sprechen, von dem man nicht einmal die Augen sah. Gerade erst hatte ich Pertsas Voreingenommenheit kritisiert, doch nun merkte ich, dass meine Einstellung zu Frau El-Ashram auch nicht vorurteilslos war. Wollte sie, dass auch ihre Töchter völlig verschleiert gingen? Ich hätte die Routinefragen über den Brandanschlag gern beiseite gelassen, um stattdessen meine persönliche Neugier zu befriedigen, doch das ging natürlich nicht. Johannas Autobiographie kam mir in den Sinn. Eigentlich wies ihr Leben mehr Berührungspunkte mit dem von Frau El-Ashram auf als mit meinem. Ich hielt mich gern für tolerant und offen, aber Schleier und die Beschneidung von Frauen lagen wohl jenseits meiner Toleranzgrenze. Im Frühherbst hatte ich in einem sehr heiklen Fall ermitteln müssen. Eine Schulschwester und eine Grundstufenlehrerin hatten die Misshandlung eines achtjährigen Somaliermädchens angezeigt. Mutter und Tante hatten das Mädchen im häuslichen Badezimmer beschnitten, die Sache war aufgeflogen, als die Kleine zuerst eine Woche unentschuldigt fehlte und dann in der Schule plötzlich blutete.
Ich hatte lange mit Staatsanwalt, Flüchtlingshelfern, Sozialbe-hörden und meinen Kollegen überlegt, ob wir Anklage erheben sollten. Dann hatten innerhalb von zwei Wochen die Skinhead-krawalle in Joensuu und die Ermordung eines Schulmädchens durch einen geisteskranken Somalier in Tampere Schlagzeilen gemacht, und wir hatten den Fall stillschweigend an das Jugendamt weitergeleitet. Ab und zu fragte ich mich jedoch, ob wir richtig gehandelt hatten, selbst wenn man berücksichtigte, dass viele finnische Eltern ihre Kinder noch schlimmer miss-handeln, ohne dass jemand eingreift.
Kurz vor Feierabend erreichte ich Millas Mutter, Ritva Marttila. Ich hatte lange überlegt, wie ich das Thema, um das es ging, ansprechen sollte. Es kam mir verrückt vor, unvermittelt am Telefon zu fragen, ob ihre Tochter ein Adoptivkind sei, und wenn ja, warum die Adoption in den offiziellen Unterlagen nicht vermerkt war.
Ritva Marttila redete ebenso ungeschliffen wie Milla.
»Milla? Ja, so heißt unsere Tochter, die hat sich aber seit Jahren nicht zu Hause blicken lassen. Was wollen Sie von ihr, hat sie was angestellt?«
»Ist Milla Marttila Ihre biologische Tochter?«, fragte ich anstelle einer Antwort.
»Biologisch … Wie meinen Sie das?«
»Ist sie Ihre eigene Tochter, also zum Beispiel nicht adop-tiert?«
»Was reden Sie denn da für einen Unsinn? Natürlich ist sie unsere Tochter! Hat sie der Polizei einen Bären aufgebunden?
Was hat sie denn sonst noch für Lügen erzählt? Ich kann Ihnen den Taufschein zeigen, wenn Sie mir nicht glauben.«
»Lügt Milla öfter?« Daraufhin folgte ein wirrer Redeschwall, aus dem hervorging, dass Milla immer schon ein furchtbares Kind gewesen sei und ihrem Vater alles Mögliche vorgeworfen habe. Auch wenn die Eintragungen im Personenstandsregister Ritva Marttilas Angaben über Millas Abstammung bestätigten, war ich keineswegs geneigt zu glauben, dass alles, was Milla mir erzählt hatte, gelogen war. Aber es war nicht meine Aufgabe, weiter in der Vergangenheit der Familie Marttila herumzu-stochern. Außerdem wusste ich, dass Ehefrauen es
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