Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
Vom Netzwerk:
einfach umzudrehen. Ich setzte mich ins nächste Lokal, legte achtzig Kronen für einen Kognak hin und trank ihn in einem Zug aus. Zu der Verabredung mit Viivi kam ich nur fünf Minuten zu spät. Ich kaufte mir einen schokobraunen Lippenstift, denn in den Illustrierten hieß es immer, Shopping helfe gegen Traurigkeit. Doch das tat es nicht. Trotzdem half ich Viivi, einen neuen BH auszusuchen, froh darüber, mich mit Spitzen und Blütenmustern ablenken zu können.
    Zum Glück war auch Viivi zum Trinken aufgelegt. Auf dem Schiff kauften wir die Höchstmenge zollfreien Wein und ließen uns in derselben Bar nieder, in der wir den vorigen Abend verbracht hatten. Als das Schiff durch die heulende Finsternis stampfte und fürchterlich schaukelte, fiel es mir leichter, meine Niedergeschlagenheit und das Chaos in meinem Kopf zu ertragen. Viivi zuliebe begutachtete ich die anwesenden Männer und versuchte mir vorzustellen, einer von ihnen stünde lachend in meiner Kochnische. Es war leichter, sie in Gedanken im Bett zu sehen.
    Was war ich eigentlich für ein Mensch? Wieder versuchte ich, meine dunklen Seiten auf andere abzuwälzen. Sicher hätte ich mich nicht in einen Schwulen verliebt, wenn ich selbst nicht irgendeinen Fehler gehabt hätte, zum Beispiel den, dass ich es nicht wagte, mich wirklich zu verlieben. Wenn mir Schwule und Rockstars auch mit dreißig noch genügten, würden sie mir wohl auch für den Rest meines Lebens reichen. Wofür bestrafte ich mich eigentlich? Dafür, dass ich versucht hatte, Großvater umzubringen?
    »Vielleicht solltest du noch eine Therapie anfangen, um über Karri zu reden«, meinte Viivi, die von meiner finsteren Miene allmählich genug hatte. »Es gibt doch alle möglichen Selbsthil-fegruppen, bestimmt auch eine für Leute, die sich aus Versehen in einen Schwulen verliebt haben. Nimm es nicht so schwer!
    Jeder fällt mal auf den Falschen rein!«
    »Aber in diesen Therapiegruppen glaubt ja im Grunde keiner, dass Menschen sich verändern können! Ein Alkoholiker ist und bleibt ein Alkoholiker, und wer einmal Essstörungen hatte, behält sie auch sein Leben lang. Ich will nicht in alle Ewigkeit als krank abgestempelt werden, ich will gesund sein.«
    »Wie definierst du gesund?«
    »Gesund ist jemand, der nicht die ganze Zeit Angst hat.«
    Viivi lachte und steckte mich damit an. Auch ihr Lachen war ein Lockmittel: Als ich an der Theke Cider für uns beide holte, sprachen mich zwei Männer an und folgten mir an unseren Tisch.
    Sie hießen Jukka und Sami, wohnten in Hämeenlinna und kamen vom Skilaufen in Åre. Jukka trug einen Ring, Sami nicht, daher konzentrierte ich mich auf Jukka. Wir gingen zu viert essen und anschließend in den Nachtclub. Jukka und ich arbeiteten uns bis zum Küss- und Streichelstadium vor, mehr wollte ich nicht. Wir tauschten weder Handynummern noch EMail-Adressen aus.
    Mein merkwürdiges Befinden hielt danach tagelang an, einerseits fühlte ich mich leer, seit ich meine Magisterarbeit abgegeben hatte, andererseits war mein Kopf voller Gedanken an Karri und Samuli. Nach zwei Tagen kam eine Mail von Karri. Bis dahin hatte ich bereits unser altes Foto hervorgekramt und unter Ranes Bild an die Wand gelehnt. Vielleicht sollte ich für beide die gleichen Rahmen besorgen.
    An einem Tag, an dem ich nichts anderes zu tun hatte, ging ich ins Musikgeschäft. Die rote zwölfsaitige Gitarre, von der ich so lange geträumt hatte, war noch immer zu verkaufen. Ich nahm sie in die Hand, strich über die Saiten und spannte sie ein wenig nach, bevor ich anfing zu spielen. Die Gitarre klang gleichzeitig weich und metallisch, sie würde sicher zu meiner Stimme passen. Ich spielte ein paar kleine Sololäufe, wagte aber nicht, zu singen, obwohl ich Lust dazu gehabt hätte. Dann legte ich das Instrument beiseite, um mir die anderen anzusehen. Die schwarze Halbakustische mit sechs Saiten sah toll aus, würde aber die Hälfte der Summe verschlingen, die ich von Mutter bekommen hatte. Wenn ich sie schon nicht kaufen kann, will ich sie wenigstens berühren, dachte ich und umfasste vorsichtig den Gitarrenhals.
    »Die können Sie mit und ohne Verstärker spielen«, sagte der Verkäufer, der offenbar gekommen war, um mich im Auge zu behalten.
    »Ich weiß.« Ich setzte mich mit der schwarzen Gitarre hin. Sie war vorzüglich gestimmt. Die Saiten unter meinen Fingern waren mir vertraut, als hätten sie auf mich gewartet. Der Klang hatte noch mehr Nuancen als bei der Zwölfsaitigen, die oberen Töne

Weitere Kostenlose Bücher