Lehtolainen, Leena
ihm zu sagen. Seinen Unfall hatte man mir tagelang verheimlicht. Wahrscheinlich dachte Sirkka, ich sei zu sensibel, um derart entsetzliche Nachrichten ertragen zu können. Ich bekomme keine Zeitung, weil ich vergessen habe, die Rechnung für das Abonnement zu bezahlen. Aber das spielt ohnehin keine Rolle, denn Berichte über Morde und Unfälle lese ich sowieso nie. Nach dem Entsetzlichen, das ich in meiner Jugend erleben musste, bin ich dazu außerstande.
Ich brach in Tränen aus, als ich den armen Kaitsu sah. Noch so jung und für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt!
Ein paar seiner Freunde waren bei ihm, gingen aber zum Glück sofort, obwohl Kaitsu versuchte, sie zurückzuhalten. Als wir allein waren, ging mir plötzlich auf, wie ungeheuerlich die Ähnlichkeit zwischen Kaitsu und Rane war. Es kam mir vor, als wäre mir mein toter Bruder zurückgegeben worden. Kaitsu war genauso ein Wirbelwind wie Rane gewesen, er hatte keine Minute still sitzen können. Die beiden waren immer physisch in Bewegung, ich geistig.
»Leidest du schwere Qualen?«, fragte ich mitfühlend.
Kaitsu gab keine Antwort. Ich erzählte ihm von der Numerologie, doch er brummte, an so etwas glaube er nicht.
»Aber Kaitsu, du hast eine unvergleichliche Chance, geistig zu wachsen«, erklärte ich ihm geduldig. Doch er wollte die Freude, die ich ihm zu vermitteln hatte, nicht annehmen, sondern warf sich auf seinem Stuhl hin und her, bis eine Schwester mich bat, zu gehen.
Ich lasse mich von der Blindheit der anderen nicht beirren, da ich selbst nach langem Suchen und Umherirren endlich den richtigen Weg gefunden habe. Nicht allen ist die Gabe der Erkenntnis beschieden. Natürlich ist es bedrückend, dass meine ehrliche Hilfsbereitschaft zurückgewiesen wird, doch das ist das Los vieler Heilender. Jesus ist es nicht anders ergangen.
Ende Februar war Katjas dreißigster Geburtstag. Ich erfuhr von Veikko, dass sie eine Party geben wollte. Mir hatte sie nichts davon gesagt. Ich rief sie sofort an.
»Ich dachte, eine Fete in meiner kleinen Wohnung würde dich nicht interessieren«, behauptete sie. »Aber du bist natürlich willkommen. Ein Geschenk ist nicht nötig. Dafür sollte jeder etwas zu essen oder zu trinken mitbringen.«
Ich beschloss, Katja das Numerologiebuch zu schenken, denn sie hatte Erleuchtung bitter nötig. Sie schien nicht zu begreifen, dass man über Essstörungen sein Leben lang nicht hinweg-kommt. Man muss immer darauf gefasst sein, dass die Krankheit erneut ausbricht. Wein wollte ich jedenfalls nicht mitbringen, Katja trank ohnehin zu viel. Stattdessen kaufte ich im Reformhaus Karottensaft und getrocknete Apfelringe. Das Geld, das ich von Mutter geerbt hatte, war schon fast aufgebraucht, aber in einigen Wochen würde ich zu einer wundervollen Reise auf die Malediven aufbrechen. Von der restlichen Summe wollte ich mir die passende Reisegarderobe anschaffen. Ich ließ mir die Haare färben, rabenschwarz mit dünnen, feuerroten Strähnen.
Zu meinem von Natur aus blassen Gesicht ergab das einen dramatischen Effekt, ich sah beinahe wie eine Spanierin aus.
In Katjas Wohnung drängten sich lauter uninteressante Typen.
Zum Glück hatte Veikko seinen niedlichen Hund mitgebracht, den ich noch nicht gesehen hatte. Es war ein unglaublich süßes Hundebaby, das mir die Nase leckte und von einem zum anderen sprang. Ich blieb im Flur stehen, spielte mit dem Hund und unterhielt mich mit meinem einzigen überlebenden Bruder, da Katja von anderen Menschen umringt war.
»Wie geht dein Babyprojekt voran?«, fragte Veikko, während wir beide seinen Hund streichelten.
»Was?«, fragte ich verblüfft.
»Am Weihnachtsabend warst du der festen Überzeugung, dein diesjähriges Projekt wäre ein Kind«, meinte er.
»Ach das«, antwortete ich irritiert. »Dafür hab ich jetzt keine Zeit, es gibt so viel Neues in meinem Leben. Außerdem will ich bald verreisen.«
Ich ließ den dummen Veikko und seinen Hund stehen und machte die Runde, um mich den anderen Gästen vorzustellen.
»Karri! Wie schön, dich nach so langer Zeit wiederzusehen!
Warum bist du damals einfach aus unserem Leben verschwunden?« Karri war so groß und dunkelhaarig, wie ich ihn in Erinnerung hatte, und roch nach einem wunderbar schweren Aftershave. Warum musste ein so attraktiver Mann schwul sein?
Welch eine Vergeudung! Sein Freund Samuli hätte glatt sein Bruder sein können, die beiden unterschieden sich nur durchs Rasierwasser.
Einer der anderen Männer
Weitere Kostenlose Bücher