Lehtolainen, Leena
Glas zwischen den Händen.
Die Suppe war scharf gewürzt; außer Knoblauch schmeckte ich Salzgurken und Majoran heraus.
»Ich kann mich noch daran erinnern, wie du auf der Weihnachtsfeier gesungen hast, als wir in der ersten Klasse waren«, sagte Pekka unvermittelt. »Die erste Strophe von ›Zwischen Ochs und Eselein‹. Du hattest eine goldene Schleife in den Haaren und eine weiße Kutte wie alle im Chor.«
»Ich?« Daran hatte ich keinerlei Erinnerung. »Das muss jemand anders gewesen sein.«
»Nein, das warst du. Deine Stimme hat die Großmütter in der ersten Reihe zu Tränen gerührt. So ein kleines Mädchen und so eine kraftvolle Stimme, hat meine Oma gesagt.«
»Klein bin ich nie gewesen.«
»Damals schon, die Hauptdarsteller im Krippenspiel waren nämlich Sechstklässler.«
Auf einmal erinnerte ich mich. Die halbdunkle Aula, elektrische Kerzen, Nervosität. Die Lehrerin wollte, dass ich den Anfang allein sang, erst bei der letzten Strophe sollte der Schulchor einstimmen. Vor lauter Aufregung fing ich sofort nach der ersten mit der zweiten Strophe an, obwohl dazwischen ein Klaviersolo vorgesehen war. Die älteren Mädchen kicherten, und meine Freude über den Erfolg schlug in Scham um.
»Meine Mutter hat viele Fotos aus der Zeit, als ihr bei uns gewesen seid. Marjukka und ich toben und albern herum, aber du sitzt immer nachdenklich da. Auf einem Bild hast du einen Bratenwender aus Holz in der Hand und tust, als wäre es eine Gitarre. Das wäre ein gutes Foto für ein Plattencover.«
»Ach, hör auf! Ich erinnere mich kaum noch an die Zeit.
Meine ganze Kindheit ist ein einziger grauer Nebel. Erst in den Tagebüchern, die ich in der Oberstufe geführt hab, stehen Erinnerungen …«
Ich biss mir auf die Lippen. Was stand schon darin? Meine einseitigen Gefühle für Kode Salama, andere unglückliche Lieben, Mutter ist ein Miststück, alle Lehrer sind Idioten.
»Unsere Mutter hat eure Mutter gleichzeitig bewundert und bemitleidet, weil sie sich allein durchschlagen musste. Als unser Vater dann auch wegging, hat sie überlegt, eure Mutter anzurufen, aber dann hat sie sich doch nicht getraut. Wir haben oft über euch gesprochen. Mutter meint, die Jahre in Matinkylä waren eine glückliche Zeit, erst nach unserem Umzug ging allmählich alles in die Binsen. Möchtest du noch Suppe?«
Ich schüttelte den Kopf, ich war satt und fühlte mich rundum wohl. Da offenbar alle meine Freunde besser kochen konnten als ich, nahm ich mir vor, meine Geburtstagsfeier als Bottle-Party aufzuziehen, zu der jeder etwas mitbrachte. Pekka klagte, seine Schallplatten hätten nur ein paar Tage in alphabetischer Ordnung gestanden, danach seien sie wieder durcheinandergeraten.
Ich sah mir seine Sammlung an. Sie unterschied sich kaum von meiner, wir besaßen sogar dieselben Abgeschmacktheiten.
»Hast du dir die Scheibe von Matti Nykänen etwa selbst gekauft?«, fragte ich mit gespieltem Entsetzen.
»Wieso? Matti ist doch ein toller Sänger«, grinste er.
»Tatsächlich?« Wir lachten. Mit Pekka lachte es sich leicht, sein sonniges Lächeln wirkte ansteckend.
»Ich hab sie auch«, gestand ich ihm. »Kaitsu hat sie mir geschenkt, aus purer Bosheit. Sie ist absolut furchtbar.«
Dass Matti Nykänens Platte in meinem Regal stand, kam mir plötzlich nicht mehr peinlich vor, sondern witzig. Wir guckten
»Sopranos«, und Pekka kicherte, als ich ihm erzählte, ich hätte anfangs geglaubt, in der Serie ginge es um konkurrierende Sängerinnen. Er zeigte mir, wie ich meine Einladungen zur Party per E-Mail verschicken und ihnen einen Song als Musik-datei anhängen konnte. Dafür kam natürlich nur ein einziges Stück in Frage, nämlich das von Luonteri Surf, in dem es hieß, man müsse dreißig sein, um irgendetwas zu begreifen. Als ich nach Hause ging, glaubte ich fest an diese Worte.
Veikko erzählte mir, der Hund habe auf die Korrekturfahnen seines neuen Romans gepinkelt und einen Teil der Seiten in Fetzen gerissen. Wahrscheinlich verstehe das Tier zu viel von Literatur. Kaitsu klagte über Stiche in der linken Hinterbacke und im Knie, was die Ärzte für ein gutes Zeichen hielten. Ich verschickte etwa zwanzig Einladungen, auch an Kaitsu und seinen komischen Freund Yazu. Kaitsu antwortete, er habe keine Lust, gegen die Möbel zu stoßen und sich bemitleiden zu lassen. Die anderen sagten zu, auch Kode Salama.
Der schrecklichste Tag meines Lebens fiel in dieselbe Woche wie mein Geburtstag. Obwohl ich am Abend eine Schlaftablette
Weitere Kostenlose Bücher