Lehtolainen, Leena
erwiderte ich. Kode und Pekka wechselten einen raschen Blick.
»Wir hätten gern mehr gehört. Halt die Akustik eher trocken, Pekka, Halleffekte können wir später ausprobieren.«
Ich hatte mich entschlossen, ohne Betablocker mit der Situation fertig zu werden. Als Kode schließlich sagte, alles sei bereit, hatte ich das Gefühl, vor Aufregung ohnmächtig zu werden. Als Auftakt wählte ich den Song »Nach deinen Schritten«, den ich für Karri geschrieben hatte, denn er war am einfachsten und half mir im Allgemeinen, mich freizusingen. Doch diesmal wollte sich meine Stimme nicht entfalten. Sie blieb dünn und piepsig, und meine eiskalten Finger fuhren steif über die Saiten. Erst beim letzten Refrain klang das, was ich herausbrachte, halbwegs nach einem Lied. Ich wusste, dass ich rot geworden war, fror aber gleichzeitig. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Bei dem Song über das Mädchen aus Matinkylä verhedderte ich mich an der schwierigsten Stelle des Gitarrensolos.
»Das nächste Lied hat keinen Namen, es erzählt sozusagen von meiner Aussicht, von dem, was vor meinem Fenster liegt: dem Gefängnis«, hauchte ich ins Mikrophon. Ranes Akkorde, a-Moll 7, C- und C-Maj 7 klangen kalt und traurig.
Als ich fertig war, wusste ich, dass ich die Erwartungen der beiden Männer enttäuscht hatte.
»Okay«, sagte Kode schließlich. »Danke, Katja. Du kannst im Pausenraum warten, Pekka und ich hören uns die Aufnahmen nochmal an, bevor wir darüber reden.«
»Vielleicht gehe ich besser nach Hause, ihr könnt mich ja anrufen …« Ich packte meine Gitarre ein und ließ dabei die Haare ins Gesicht fallen, damit Kode meine Tränen nicht sah.
»Nein, nein, es dauert nicht lange. Nimm dir einen Kaffee, im Kühlschrank müssten auch noch ein paar Brote sein.«
Im Kühlschrank lagen nicht nur Brote, sondern auch eine Flasche Bier. Ich strich mit der Hand darüber, gab mir aber einen Ruck und nahm stattdessen Mineralwasser. Die Beratung dauerte eine halbe Stunde, lange genug, um die Songs dreimal durchzuspielen. Als ich das Pochen von Kodes Stiefelabsätzen und Pekkas weichere Schritte auf dem Flur hörte, setzte das Schwindelgefühl wieder ein.
»Also«, sagte Kode und setzte sich dicht neben mir auf die Armlehne meines Sessels. »Wir sind uns ziemlich einig. In dieser Form hat keiner der Songs das Zeug zum Hit. Wenn wir dir eine Demo machen wollen, um sie den großen Plattenfirmen anzubieten, muss ein Hit dabei sein. Trotzdem, mir gefällt sowohl das ›Mädchen aus Matinkylä‹ als auch das Gefängnislied, für das du dir unbedingt einen Titel ausdenken musst. Wie wäre es mit ›Meine Aussicht‹? Das Gefängnis ist doch konkret und metaphorisch zu verstehen. ›Nach deinen Schritten‹ ist ziemlich konventionell, könnte bei Liveauftritten aber ganz gut ankommen. Du warst furchtbar nervös, als du es gesungen hast, oder?«
»Ja …«
»Wie wäre es, wenn wir alle drei nochmal aufnehmen? Wenn ich es richtig verstanden habe, hast du jede Menge Songs auf Lager. Könnten wir uns nicht noch mehr anhören, für den Anfang vielleicht um die zehn?«
»Das bringt nichts.« Ich stand so abrupt auf, dass ich Kode beinahe von der Lehne gestoßen hätte. »Es wird sowieso nichts draus. Ich will deine Zeit nicht vergeuden. Am besten …«
ZWEIUNDZWANZIG
Sara
… schlage ich ein neues Kapitel in meinem Leben auf und vergesse die Healing-Gruppe. Diese Leute sind geistige Zwerge.
Mein Weg ist die Numerologie. Wie konnte ich nur so dumm sein, an Anitras Aufrichtigkeit zu glauben? Die falsche Schlange hat die Tiefe meiner Schmerzen überhaupt nicht erfasst. Zum Glück habe ich die Verdorbenheit der Gruppe erkannt, bevor ich mich ihr völlig ausgeliefert hatte, und Gott sei Dank habe ich Jemina im Café kennengelernt. Ich bin ein spontaner Mensch, der ungehemmt mit Fremden ein Gespräch anknüpft, und das Buch, das Jemina vor sich liegen hatte, sah so interessant aus, dass ich nicht anders konnte, als mich an ihren Tisch zu setzen und zu fragen, worum es darin ging. »Die Zahlen – der Weg zur inneren Harmonie« stand auf dem Einband, der mit einem Regenbogen und frei schwebenden Ziffern bedruckt war.
Warum hat mir nie jemand etwas von der Numerologie erzählt?
Ich habe gleich eine numerologische Prognose für Kaitsu aufgestellt. Sie sah gut aus. Er wird allem Anschein nach nicht genesen, dafür aber dank seiner Behinderung ein inneres Licht und eine neue Richtung für sein Leben finden. Ich fuhr sofort ins Reha-Zentrum, um es
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