Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
Vom Netzwerk:
in der ganzen Zeit nur einmal gesehen. In der Regel hatte ich sie einmal im Monat angerufen, aber irgendwann waren die Abstände größer geworden. Da hatte Mutter mich ermahnt, mich wieder bei ihr zu melden, damit sie sich keine Sorgen machte.
    In unserer Familie war es nicht üblich, täglich miteinander zu telefonieren. Jeder führte sein eigenes Leben.
    Sara schenkte uns beiden nach, ich hatte mein Glas geleert, ohne es zu merken.
    »Das junge Mädchen, das ich zuerst angerufen habe, fand meine Geschichte überhaupt nicht interessant, aber Henrik, der Produzent, hält große Stücke auf mich. Er findet mich bezau-bernd und tapfer. Ich habe mich jetzt doch für schwarze Kleidung entschieden, obwohl Schwarz mich furchtbar blass macht, aber ich bin ja noch in Trauer um meine Mutter.«
    »Erinnerst du dich, ob Großvater mich jemals unsittlich be-rührt hat?«
    »Dich hat er auch belästigt? Gütiger Gott! Mein Vater war wirklich ein Schwein!«
    »Ich kann mich nicht erinnern. Hat er mich belästigt?«
    »Du warst doch erst fünf, als er gestorben ist. Ein so kleines Kind? Mir wird richtig schlecht, wenn ich daran denke!« Sie trank einen großen Schluck Wein, der zwischen Nase und Oberlippe einen roten Streifen hinterließ.
    Ich machte sie nicht darauf aufmerksam, dass sie selbst mir die Idee eingegeben hatte. Offenbar hatte Sara nichts gesehen, war aber bereit, es zu glauben. Sie war ja nicht immer zu Hause gewesen, und Mutter hatte Kaitsu und mich oft allein bei den Großeltern zurückgelassen. Vielleicht gab es keine Zeugen.
    »Hat Rane uns eigentlich lieb gehabt, mich und Kaitsu und Mutter?«
    »Rane? Der hat nur sich selbst geliebt. Natürlich hat er den Mädchen Liebe geschworen, um sie ins Bett zu kriegen. Warum fragst du überhaupt nach Vati und Rane? Die sind doch schon fast fünfundzwanzig Jahre tot. Aber wir leben, Katja! Prost!«
    Sie stieß mit mir an, die Kristallgläser mit dem roten Tränen-muster klirrten. Vor einigen Jahren hatte sie diese Gläser unbedingt haben wollen und sich von Kaitsu, der bei Rockit damals mehrere Zehntausend im Monat verdiente, Geld dafür geliehen. Wahrscheinlich hatte sie erwartet, er würde ihr die Gläser schenken, aber er hatte das Darlehen zurückgefordert, sogar mit Zinsen.
    Der Wein tat mir gut. Vielleicht hatte ich endlich die Antwort gefunden, die dem Schmerz ein Ende bereitete. Gleich am nächsten Tag würde ich in die Bibliothek gehen und alles über sexuellen Missbrauch in Erfahrung bringen. Ich war Sara dankbar, weil sie meine Theorie bestätigt hatte.
    »Weißt du was, wir rufen Sirkka an und fragen sie«, schlug sie vor, doch ich wehrte ab. Ich wollte selbst mit Mutter sprechen.
    Sara machte noch eine Weinflasche auf, während wir beide versuchten, uns zu erinnern. Großvaters heißer, stechender Atem und seine zitternden Hände, manchmal ein ungeduldiger Klaps, gelegentlich ein Kuss auf die Wange … Näherte ich mich der Erinnerung, die alles ändern würde?
    Aber weiter als zu dem Kuss reichte meine Erinnerung nicht.
    »Wo ist eigentlich Ranes alte Landola?«, fragte ich, als ich merkte, dass ich nicht weiterkam.
    »Was?«
    »Ranes alte Gitarre. Die hast du doch noch. Darf ich mal darauf spielen?«
    Sie lachte nervös.
    »Ach die. Die hab ich ins Pfandhaus gebracht. Was einem Mörder gehört hatte, wollte ich nicht mehr in meiner Wohnung haben. Mir wurde jedes Mal schlecht, wenn ich sie sah.«
    Die Enttäuschung stieg mir in die Kehle wie dünner, lauwar-mer Kaffee. Ich hätte Ranes Gitarre gern in der Hand gehalten und seinen Fingern auf den Saiten nachgespürt. Sara redete weiter über sich selbst. Ich ging erst, nachdem wir auch die zweite Flasche Wein und einige Gläser Likör geleert hatten. Der Schneeregen war in der Zwischenzeit heftiger geworden, und meine Schuhe waren immer noch nass, daher nahm ich ein Taxi.
    Das konnte ich mir leisten, nachdem ich gerade kostenlos einen Rausch bekommen hatte und in den nächsten Tagen natürlich nichts trinken würde. Zu gern hätte ich noch einen kleinen Schnaps gekippt, denn allein schmeckte es mir noch immer am besten. Ich klinkte die Balkontür auf und stellte mich in den Schneeregen. Er fiel so dicht, dass vom Gefängnis nur noch einige Lichter zu sehen waren, die meinem leicht getrübten Blick die Umrisse des Gebäudes vorgaukelten. Ich war schuldig, deshalb musste ich bestraft werden. Rane hatte gelitten, damit mir Leid erspart blieb. Wie hatte Mutter die ganzen Jahre mit diesem Wissen leben können?
    Man

Weitere Kostenlose Bücher