Lehtolainen, Leena
…«
»Wahrscheinlich bildet sie sich ein, Rane wäre unschuldig gewesen«, murmelte ich schläfrig. Die Augenlider wurden immer schwerer, und meine Ohren konnten kein Geräusch mehr ertragen.
Als ich wach wurde, war es zwei Uhr nachts. Es regnete und war stockdunkel. Ich stand auf und ging ans Fenster. Draußen war niemand zu sehen.
Der November ist ein schwarzes Grab. So hieß das Buch, über das ich im Gymnasium ein Referat gehalten habe. Ich hatte es mir ausgesucht, weil es ein Krimi war. Ein schwarzes Grab.
Vielleicht stürzte im nächsten Moment ein entführtes Flugzeug auf unsere Siedlung. Das »Big Apple« würde zwar nicht so spektakulär in sich zusammenfallen wie die Türme des WTC, aber einen Riesenknall gäbe es immerhin.
Mutter schlief auf der Wohnzimmercouch wie in all den Jahren, als ich klein war. Nach der Konfirmation zog Katja aus unserem gemeinsamen Zimmer ins Wohnzimmer um, und Mutter schlief auf einer Matratze in der Küche. Man hatte keine Chance, unbemerkt in die Wohnung zu schleichen, sie war immer zu Hause. Die Wohnzimmertür war geschlossen, nun schloss ich auch die Küchentür. Ich kochte Kaffee, schenkte mir eine große Tasse ein und goss den Rest in die Thermosflasche.
Dann schlich ich mit dem Kaffee in mein Zimmer zurück und schaltete den Computer ein.
In der Zeit bei Rockit war ich jeden Tag im Netz, beinahe wäre ich süchtig geworden. In den Chatrooms waren hauptsächlich Spinner unterwegs, aber manchmal stieß ich auf Typen, mit denen man länger chatten konnte. Einmal hatte ich mich sogar mit einer Frau verabredet, aber ich bin dann doch nicht hinge-gangen und habe ihr auch nicht mehr geantwortet. Sie war garantiert fett und hatte strähnige Haare.
Der PC behauptete, keine Verbindung zum Server zu kriegen.
Woran das liegen sollte, war mir schleierhaft. Ich probierte es mit einem anderen Server – dasselbe Resultat. Draußen herrschte noch immer völlige Stille. Hatte sich irgendeine Katastrophe ereignet, während ich schlief? War das weltweite Netz zusam-mengebrochen?
Ich lauschte. Nein, alles war wie immer, auf dem Westring rauschte der Verkehr, irgendwo rasselten die Wasserrohre, und als ich das Ohr an die Tür hielt, hörte ich Mutters leises »Ptuuh«
beim Ausatmen. Ich schaltete das Handy ein. Roni hatte mir eine SMS geschickt: Freikarten für das Heimspiel von Espoo Blues am Sonntag. Dann das vertraute Knacken, gefolgt von einem surrenden Geräusch: Die Verbindung war wieder da.
Als Mutter klopfte, war es fast sieben. Ich hatte die Thermosflasche geleert, aber essen mochte ich noch nichts.
»Guten Morgen, Schatz. Möchtest du Rührei zum Frühstück?«
Sie stand in Nachthemd und Bademantel vor mir, ohne BH, die hängenden Brüste sahen grotesk aus. Ich hatte gerade mit einem Australier über die Formel 1 und Räikkönens Chancen gechattet.
Auf Rührei hatte ich zwar keine Lust, aber irgendwas musste ich essen, bevor ich wegfuhr. Mit der Arbeit wollte ich erst am Abend um acht wieder anfangen.
Ich duschte, wusch mir die Haare und kämmte sie zum Spaß nach hinten. In der Mittelstufe hatte ich mit einer Clique von Skins rumgehangen und mir den Kopf kahl geschoren, inzwischen lasse ich die Haare wieder wachsen. Ich spielte mit dem Gedanken, mir das Rasieren zu sparen, aber Bartstoppeln sind total out. Also schabte ich mir das Kinn glatt. So wirkte ich härter, und das ist in meinem Beruf nur gut. Ob Yazu mit mir zum Bodybuilding gehen oder eine Runde Squash spielen würde?
Als ich in die Küche kam, sah Mutter mich merkwürdig an.
»Was ist?«
»Deine Frisur ist irgendwie anders … Sie steht dir nicht.«
Plötzlich, fast aufgebracht, strich sie mir die Haare in die Stirn.
»Bei der Gerichtsverhandlung hatte Rane so eine Frisur. Ich hätte ihn beinahe nicht wiedererkannt, weil sie ihm im Gefängnis die Haare kurz geschnitten hatten. Seit du so mager geworden bist, siehst du ihm unglaublich ähnlich«, sagte sie und stellte die Pfanne mit dem Rührei auf den Tisch. Sie hatte sogar Würstchen dazu gebraten.
Das Essen wollte mir nicht schmecken. Ein paar Wochen zuvor hatte ich zwei Burschen im Taxi gehabt, der eine auf Hafturlaub, der andere gerade entlassen. Sie waren auf dem Weg zu einem Dritten, der die Beute aus ihrem gemeinsamen Coup versteckt hatte. Beim Anblick der beiden Typen hatte ich mir geschworen, von bestimmten Dingen die Finger zu lassen. Yazu hatte zwar mit seinen Pillen ganz gut Kohle gemacht, und bevor man in Finnland ins Gefängnis kam,
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