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Leibhaftig

Leibhaftig

Titel: Leibhaftig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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wollen doch schmuck sein für die Herren im OP , was? Endlich öffnet sie das Fenster und geht, erleichtert atme ich die frische Morgenluft. So, sagt Schwester Christine, und nun die berühmteSpritze, bald wird Ihnen alles angenehm gleichgültig sein. Denken Sie immer, das ist das letzte Mal unterm Messer. Nur das Mullhäubchen muß sie ihr noch aufsetzen, ihr Haar darunterstecken, das ihr zum Glück ein Friseur gerade viel zu kurz geschnitten hat, und leider ist es dann wieder Schwester Evelyn, die, adrett und perfekt geschminkt schon am frühen Morgen, ihr Bett, an jeder Ecke anstoßend, in den OP schiebt. Wir seien früh dran, aber macht nichts. Ich sei sowieso die erste.
    Wahrhaftig kein Grund, sich geschmeichelt zu fühlen, im Operationssaal wird die Reihenfolge sicher nicht nach Verdienst und Würdigkeit festgelegt, sondern zum Beispiel nach der Schwere des Falles. Sie kann sich noch ein bißchen mit dem Doppelsinn dieses Satzes beschäftigen, dann kommt, ganz in Grün, in dunkles Meeresgrün gekleidet, die OP -Schwester. So stellt sie sich vor: Ich bin hier die OP -Schwester, und sie fängt an, in leichten, kurzen Sätzen mit ihr zu reden. Sie hört sich antworten, aus einiger Entfernung, mit knappen Worten. Sie erfährt, durch eine dichter werdende Watteschicht, daß die Schwester heute zum erstenmal wieder Dienst macht. Daß sie wochenlang krank geschrieben war, wegen einer Hepatitis, die sie sich im OP geholt hat. Daß sie zwei Kinder hat und ihr Mann Techniker ist. Die Patientin sagt: Ach? Und: Ja?, und: Wie schön für Sie, und sie sieht, wie die Schwester mit dem Rücken zu ihr an dem Glasschrankhantiert, Spritzen aufzieht, flinke Handgriffe macht. Ein Mann kommt herein, durch die Tür, auf der OPERATIONSSAAL 1 steht, ebenso dunkelgrün verkleidet, mit einem grünen Käppchen auf dem Haar, das, wie man jetzt deutlich sehen kann, an den Schläfen grau wird. Er will sie noch begrüßen, ehe sie einschlafe, es ist der Chefarzt, er drückt ihr die Hand, er blickt fragend zur Schwester, die sagt: In Ordnung. Ich habe mit ihr geredet. Die Patientin begreift, daß es zum Aufgabenbereich dieser Schwester gehört, mit ihr zu reden, es stört sie nicht. Schön, sagt der Chefarzt. Es wird alles gutgehen. Sie sagt: Aber ja. Was sonst, denkt sie leicht ironisch.
    Die Invasion des Wörtchens »gut« hat den Operationssaal erreicht. War nicht gut gut gut der Grundreim, auf den die Kindheit getrimmt war? Gut? hat Urban mich einmal angeschrien, ja bist du denn naiv? Gut ist das bürgerlichste Wort überhaupt. Edel sei der Mensch, hilfreich und gut, die allerbürgerlichste Leier, der Katechismus des Kleinbürgers, der sich an dem Wort »gut« zum Un- und Übermenschen hinaufsteigern wird. Dann aber, habe ich ihm, damals noch schüchtern, erwidert, dann wird er doch das Wörtchen »gut« längst hinter sich gelassen haben. Wie du. Wie wir, verbesserte ich mich. Und Urban, dünnlippig, erwiderte: Paß auf, was du sagst.
    Die dunkle Frau, ganz in Meergrün. Als ob wiralle, sagt die Patientin, leicht lallend, in einem Aquarium unter Wasser sind. Das könne einem so vorkommen, sagt Kora und fragt, ob alles okay sei. Sprache der Jungen. Ja, sagt sie. Alles ist okay. Übrigens habe ich von Ihnen geträumt. Oje, sagt Kora und lacht, ihre Augen, braun und glänzend, lachen nicht mit. Auch ihr berichtet die OP -Schwester, während sie ihr den Mundschutz hinten zuknotet, sie habe mit der Patientin geredet. Die dunkle Frau nickt. Wir können, sagt sie. Plötzlich ist noch ein grünes Wesen da, ein Mann, der die Trage hinten anschiebt, die beiden Frauen begleiten sie an den Seiten, geordnete Formation.
    Die Türen des Operationssaals öffnen sich. Die großen hellen Metallampen an der Decke. Drei grün vermummte Männer mit erhobenen Händen. Das ist ein Überfall. Sie reden über ihre Gärten. Rosen, sagt der eine, fast alle bekannten Sorten. Das ist der Chefarzt, sieh mal an, Rosen. Der zweite sagt: Keinen künstlichen Dünger!, und der dritte wehrt ab: Einen Garten? Nie im Leben. Dabei halten sie die Hände hoch, als seien nicht sie die Täter, sondern die Opfer, die sich ganz und gar ergeben. Der Chefarzt, während er weiter über Rosen spricht, beobachtet genau, wie sie sie zu dritt auf den Operationstisch gewuchtet (so sagte der Pfleger: Wollen wir sie mal rüberwuchten) und sie damit in jene Zone verbracht haben, in der nicht mehr mit ihr, nur noch über sie gesprochen wird: Ist sie ruhig? –Ruhig. – Können wir? – Wir

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