Leibniz war kein Butterkeks
4. Jahrhundert gab es in der Stadt große Paläste, Schulen, Bibliotheken, Theater, Schwimmbäder, Saunen, Skulpturen und Mosaike von höchstem künstlerischen Wert. Zweihundert Jahre später war davon nichts mehr zu sehen. Die Menschen lebten, als hätte man sie um tausend Jahre in die Vergangenheit zurückkatapultiert. Ihre Häuser waren Baracken, es gab keine sanitären Einrichtungen mehr, geschweige denn bedeutende Kunstwerke, kaum jemand war noch des Lesens und Schreibens mächtig …
Meinst du, dass ein solcher kultureller Zusammenbruch auch heute noch möglich wäre?
Das kann man nicht ausschließen! Die Aufklärer der Vergangenheit unterlagen leider einem Fehlschluss, als sie glaubten, dass nur »das Bessere Feind des Guten« sei und dass sich die Menschheit deshalb notwendigerweise in Richtung größerer Humanität und Aufgeklärtheit entwickeln werde. Spätestens seit der kulturellen Katastrophe des Nationalsozialismus sollten wir wissen, dass auch »das Schlechtere Feind des Guten« ist. Wir müssen uns damit abfinden, dass es keinen »Fortschrittsautomatismus«, kein vorprogrammiertes »Happy End« in der Geschichte gibt. Im Gegenteil: All die großen Errungenschaften, die in der Vergangenheit so blutig erkämpft werden mussten, etwa die Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit, können schnell wieder verloren gehen, wenn wir nicht den Mut aufbringen, sie mit aller Entschiedenheit zu verteidigen.
Demnach ist nicht nur eine bessere Welt möglich, sondern auch eine schlechtere …
Selbstverständlich! Es liegt an uns, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln. Deshalb ist es auch so fatal, dass wir vor den großen Problemen unserer Zeit kapitulieren – vor allem, weil manche dieser Probleme so drängend sind, dass sich jede weitere Verzögerung ihrer Lösung verbietet. Denk nur an die fürchterlichen Folgen der extremen Armut. Wie du vielleicht weißt, sterben täglich rund 30 000 Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr. Das heißt: In der Zeit, in der wir zwei über den »Sinn und Unsinn des Lebens« philosophiert haben, mussten Hunderttausende von Kindern ihr Leben lassen, pro Jahr sind es etwa elf Millionen! Die Hälfte von ihnen stirbt an den Folgen von Unterernährung, die anderen fallen fehlender Hygiene, mangelhafter medizinischer Versorgung oder Bürgerkriegen zum Opfer.
Das ist schrecklich, aber was können wir dagegen tun?
Langfristig helfen nur eine nachhaltige Umgestaltung des Weltwirtschaftssystems sowie strukturelle Veränderungen in den Entwicklungsländern selbst, die häufig von korrupten Eliten und skrupellosen Diktatoren beherrscht werden. Angesichts der akuten Bedrohung von Millionen Menschenleben können wir aber auf derartige, langfristige Wirkungen nicht warten. Wir brauchen dringend internationale Hilfsprogramme, die schon heute die schlimmste Not vor Ort lindern.
Es gibt doch bereits viele Hilfsprojekte, die in den ärmsten Regionen der Welt humanitäre Arbeit leisten, oder?
Natürlich, doch insgesamt müsste sich die Weltgemeinschaft stärker engagieren, um den Fluch der extremen Armut zu bannen. Möglich wäre das auf jeden Fall: Schätzungen zufolge hätten im Jahr 2001 Hilfen in Höhe von 124 Milliarden Dollar ausgereicht, um sicherzustellen, dass niemand an den Folgen von Unterernährung sterben muss. Zum Vergleich: Allein im Jahr 1999 gaben die US-Amerikaner 160 Milliarden Dollar für Alkoholika aus.
Du wirst doch jetzt nicht etwa zum Abstinenzler werden, der den Leuten empfiehlt, auf Drinks zu verzichten, um das Welthungerproblem zu lösen.
Nein, darum geht es nicht! Ich wollte nur andeuten, dass wir durchaus die ökonomischen Ressourcen besitzen, um die extreme Armut zu beseitigen. Auf dem Uno-Entwicklungsgipfel in New York im Jahr 2000 formulierten die Vereinten Nationen die sogenannten »Jahrtausend-Entwicklungsziele« (»Millenium Development Goals«). Hiernach sollen bis ins Jahr 2015 unter anderem folgende Ziele erreicht werden: Der Anteil der Menschen, die hungern (das sind derzeit etwa 700 Millionen), soll halbiert werden, weltweit sollen Mädchen wie Jungen zumindest eine Grundschulausbildung erhalten, die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren soll um zwei Drittel gesenkt, die Ausbreitung von Malaria und anderen schweren Krankheiten gestoppt und der Anteil der Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben (das sind derzeit etwa eine Milliarde!) halbiert werden. Bislang sieht es jedoch nicht so aus, als könnten diese Entwicklungsziele
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