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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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Milchglastüren sahen aus, als stammten sie direkt aus einer Reklame für den
     häuslichen amerikanischen Traum der 1950er Jahre.
    Das restliche Mobiliar war allerdings ein Mischmasch aus den darauffolgenden Jahrzehnten. In der Küche brummte ein verrosteter
     Kühlschrank laut vor sich hin, während über dem abgenutzten Tisch und den Stühlen im Essbereich ein nachgemachter Kronleuchter
     mit Glühbirnen in Kerzenform hing. In der Mitte des Wohnbereichs stand ein dick gepolsterter Ledersessel, dessen aufgerissene
     Kissen mit Klebeband geflickt waren, das sich bereits wieder ablöste. Genau davor war ein riesiger Flachbildfernseher aufgestellt
     worden, der der einzige neuere Gegenstand war, den ich im Haus sehen konnte.
    |260| Hier oben waren weitere Beamte der Spurensicherung beschäftigt. In dem Haus herrschte ein heilloses Durcheinander, obwohl
     man nur schwer sagen konnte, wie viel davon auf die Durchsuchung zurückzuführen und was das Resultat von Yorks Lebensstil
     war. Überall lagen Kleidungsstücke herum, und aus den Schränken waren Kisten voller Krimskrams und alten Magazinen gezogen
     worden. Die Spüle und die Frühstücksbar versanken unter schmutzigem Geschirr, und der Boden war mit verkrusteten Kartons von
     Fastfoodketten übersät, als hätte York sie nach dem Essen einfach fallen gelassen.
    Ein paar Beamte der Spurensicherung hielten in ihrer Arbeit inne und schauten zu mir und Gardner herüber, der mich durch den
     Raum führte. Ich erkannte den massigen Jerry, der auf dem Boden hockte und die Schubladen eines demolierten Schrankes durchwühlte.
     Er hob grüßend eine Hand.
    «Hi, Doc.» Er kaute energisch Kaugummi, wobei seine Hängebacken gegen die Schutzmaske schwabbelten. «Hübsches Häuschen, was?
     Sie müssen sich mal die Filmsammlung ansehen. Ein Pornoparadies, alles alphabetisch geordnet. Der Typ sollte echt öfter ausgehen.»
    Gardner war zu einer Nische neben der Spüle gegangen. «Hauptsache, es fehlt nichts, wenn ihr hier fertig seid.» Die Männer
     lachten, aber ich war mir nicht sicher, ob er es als Spaß gemeint hatte. «Hier durch.»
    In die Nische war ein begehbarer Schrank eingebaut, dessen Tür mit einem Keil offen gehalten wurde. Die Inhalte waren herausgezogen
     worden und lagen verstreut herum: Kisten voller Geschirrscherben, ein Plastikeimer mit einem Riss in der Seite, ein kaputter
     Staubsauger. Ein Beamter kniete vor einem Pappkarton mit altem Fotoequipment: eine abgenutzte Spiegelreflexkamera, die offensichtlich
     schon |261| bessere Tage gesehen hatte, ein altmodisches Blitzgerät mit Belichtungsmesser sowie vergilbte Fotomagazine mit Eselsohren.
    Ein oder zwei Meter vom übrigen Plunder entfernt, auf einer freigeräumten Stelle, stand ein zerbeulter Koffer auf dem verstaubten
     Linoleum.
    Der Deckel war heruntergeklappt, klaffte aber auf, als wäre der Inhalt zu groß. Gardner schaute auf den Koffer hinab, ohne
     näher zu treten.
    «Wir haben ihn im Schrank gefunden. Als wir gesehen haben, was drin ist, haben wir ihn so gelassen, bis sich ein Experte die
     Sache anschauen kann.»
    Der Koffer sah zu klein aus, um ein menschliches Wesen zu enthalten. Auf jeden Fall keinen Erwachsenen, obwohl ich wusste,
     dass das nichts zu bedeuten hatte. Vor Jahren war ich zu der Leiche eines Mannes gerufen worden, die man in eine Reisetasche
     gezwängt hatte, die noch kleiner gewesen war als dieser Koffer. Die Knochen waren gebrochen und die Gliedmaßen derartig zusammengefaltet
     und gepresst worden, wie es sich kein lebender Schlangenmensch wünschen würde.
    Ich hockte mich neben den Koffer. Das braune Leder war abgewetzt und zerschlissen, ich konnte jedoch weder Schimmel noch andere
     Flecken sehen, die ich erwartet hätte, wenn im Inneren Leichenteile verwest wären. Aber Jacobsen hatte ja auch gesagt, dass
     die Überreste schon älter waren.
    «Darf ich hineinschauen?», fragte ich Gardner.
    «Deswegen sind Sie hier.»
    Ich ignorierte seinen bissigen Ton und spürte, dass mich jeder beobachtete, als ich den Deckel aufklappte.
    Der Koffer war voller Knochen. Schon auf den ersten Blick konnte ich bestätigen, dass es menschliche waren. Es schien |262| ein vollständiger Brustkorb zu sein, in den ein Schädel eingeklemmt war. Da der Unterkieferknochen noch mit ihm verbunden
     war, hatte er das typische Grinsen. Während ich die Knochen betrachtete, fragte ich mich, ob Jacobsen ihre Worte auf der Herfahrt
     absichtlich gewählt hatte:
Wir konnten keine
Leichen in seinem

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