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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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Keller finden.
    Jetzt hatten sie immerhin ein Skelett gefunden.
    Die Knochen waren genauso vergilbt wie die Wände, obwohl ich nicht glaubte, dass der Zigarettenqualm dafür verantwortlich
     war. Sie waren völlig frei von Geweberesten. Ich beugte mich näher heran und schnüffelte, konnte aber, abgesehen von dem muffigen
     Gestank des Koffers, nichts riechen.
    Ich nahm eine Rippe, die oben lag. Der Knochen sah aus wie ein Miniaturbogen. An ein paar Stellen war, winzigen Fischschuppen
     gleich, eine durchsichtige Schicht von der Oberfläche abgeblättert.
    «Gibt es schon Neuigkeiten über York?», fragte ich, während ich die Rippe untersuchte.
    «Wir suchen ihn noch.»
    «Glauben Sie, dass er aus eigenem Antrieb verschwunden ist?»
    «Wenn Sie meinen, ob er wie Irving entführt wurde, dann lautet die Antwort nein. Irving hat nicht seinen Wagen genommen oder
     erst einen Koffer gepackt», erwiderte Gardner kühl. «Und was können Sie mir über die Knochen sagen?»
    Ich legte die Rippe zurück und nahm den Schädel heraus. Wenn sich die einzelnen Knochen bewegten, klang es beinahe melodisch.
    «Sie stammen von einer Frau», sagte ich und drehte den Schädel um. «Die Knochenstruktur ist zu fein für einen Mann. Und sie
     ist nicht erst kürzlich gestorben.»
    «Erzählen Sie mir etwas Neues.»
    |263| «Na schön», willigte ich ein. «Fangen wir damit an, dass sie nicht ermordet wurde.»
    Er reagierte, als hätte ich behauptet, die Erde wäre eine Scheibe. «Was?»
    «Das hier ist kein Mordopfer», wiederholte ich. «Schauen Sie, wie vergilbt die Knochen sind. Sie sind alt. Mindestens vierzig
     oder fünfzig Jahre. Vielleicht mehr. Man kann sehen, dass sie mit einer Art Stabilisator überzogen worden sind, der bereits
     abblättert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Schellack ist, der seit Jahren nicht mehr benutzt wird. Und schauen Sie sich
     das an   …»
    Ich zeigte ihm ein kleines Loch, das in die Schädeldecke gebohrt worden war.
    «Hier konnte man einen Haken befestigen, um das Skelett aufzuhängen. Wahrscheinlich stammt es aus einem Labor oder hat einem
     Mediziner gehört. Heutzutage werden statt wirklicher Skelette Plastikmodelle benutzt, aber manchmal findet man noch echte.»
    «Das ist ein Anatomieskelett?» Gardner starrte es mit finsterem Blick an. «Was zum Teufel hat es hier zu suchen?»
    Ich legte den Schädel zurück in den Koffer. «York sagte, sein Vater hätte Steeple Hill in den fünfziger Jahren gegründet.
     Vielleicht gehörte es ihm. Es ist auf jeden Fall alt genug.»
    «Gottverdammt.» Er blähte seine Wangen auf. «Mir wäre es trotzdem lieber, wenn Paul Avery einen Blick darauf wirft.»
    «Wie Sie wollen.»
    Ich glaube, Gardner war seine versteckte Kränkung nicht einmal bewusst. Mit einem letzten angewiderten Blick auf den Koffer
     ging er zur Treppe. Ich klappte den Deckel zu und folgte ihm.
    |264| «Tschüs, Doc», sagte Jerry kauend. «Schon wieder umsonst gekommen, was?»
    Als ich an der Anrichte vorbeikam, blieb ich stehen, um mir die gerahmten Fotos anzuschauen, die Yorks Lebensgeschichte bildlich
     darstellten. Es war eine Mischung aus gestellten Porträts und Ferienschnappschüssen, deren einst helle Sommerfarben längst
     verblichen waren. York war auf den meisten zu sehen; mal als grinsender Junge in Shorts auf einem Boot, mal als betreten dreinschauender
     Jugendlicher. Auf vielen stand neben ihm eine ältere, freundlich wirkende Frau, die bestimmt seine Mutter war. Manchmal hatte
     sich ein großer, sonnengebräunter Mann mit dem Lächeln eines Geschäftsmannes zu ihnen gesellt, der wohl Yorks Vater war. Da
     er nur auf wenigen Fotos zu sehen war, nahm ich an, dass er die meisten selbst gemacht hatte.
    Die späteren Aufnahmen zeigten ausschließlich Yorks Mutter, die zunehmend gebeugter und ausgezehrter wirkte. Auf dem jüngsten
     Foto stand sie mit einer jüngeren Version ihres Sohnes neben einem See, gebrechlich und grau, aber noch immer lächelnd.
    Damit hörte die Bildersammlung auf.
    Ich holte Gardner am Fuß der Treppe ein. Bisher hatte er den Anruf, den Tom in der Nacht zuvor erhalten hatte, noch nicht
     erwähnt. Ich war mir nicht sicher, ob es daran lag, dass er ihn für unwichtig hielt, oder ob er nur nicht anerkennen wollte,
     dass ich vielleicht etwas Nützliches getan hatte. Ich wollte jedoch nicht gehen, ohne die Sache anzusprechen.
    «Hat Jacobsen Ihnen von dem Münztelefon erzählt?», fragte ich, als wir durch den Flur gingen.
    «Hat sie. Wir

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