Leichenblässe
aktiven Schritt zu unternehmen.»
Und irgendeine Verhaftung sah besser aus als keine Verhaftung
.
Auf Politik und Öffentlichkeitsarbeit konnte auch die Polizei nicht verzichten.
Nur dass York seine Verhaftung nicht abgewartet hatte. |257| Als TB I-Agenten ihn an diesem Nachmittag abholen wollten, war er weder auf dem Friedhof noch in seinem Haus anzutreffen gewesen. Auch sein
Wagen war weg, und nachdem sich das TBI Zutritt verschafft hatte, hatte man Spuren eiligen Packens gefunden.
Außerdem waren menschliche Überreste entdeckt worden.
«Wir hätten sie schon früher entdeckt, wenn es kein Durcheinander mit dem Papierkram gegeben hätte», räumte Jacobsen ein.
«Der ursprüngliche Durchsuchungsbefehl hat nur die Geschäftsräume und das Gelände des Bestattungsunternehmens eingeschlossen,
nicht aber Yorks privaten Wohnbereich.»
«Stammen die Leichenteile von einem jüngst Verstorbenen?»
«Unserer Meinung nach nicht. Aber Dan wäre es lieber, wenn Sie einen Blick darauf werfen.»
Der Grund dafür hatte mich noch mehr bestürzt als Yorks Verschwinden. Anscheinend hatte sich Paul die Leichenteile nicht anschauen
können, weil Sam einen schlimmen Abend gehabt hatte. Zuerst hatten sie gedacht, die Wehen würden einsetzen, was sich dann
aber als falscher Alarm erwiesen hatte. Doch Paul wollte sie mitten in der Nacht nicht allein lassen.
Deswegen hatte er Gardner gebeten, mich zu fragen.
Paul hatte müde und erschöpft geklungen, als ich ihn angerufen hatte. Ich zog Jacobsens Erklärung nicht in Frage, aber ich
wollte nicht losfahren, ohne zuerst mit ihm gesprochen zu haben.
«Ich habe Gardner gesagt, dass ich gleich morgen früh kommen könnte; wenn er aber noch heute Nacht eine Meinung will, muss
er dich fragen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen», |258| hatte er gesagt. Ich hatte ihm versichert, dass es in Ordnung wäre, es mich allerdings überraschen würde, dass Gardner einverstanden
war. Er hatte bitter aufgelacht. «Er hat kaum eine andere Wahl.»
Er hatte Gardner offenbar nicht verziehen, dass er sich auf Hicks’ Seite und gegen Tom gestellt hatte. Paul war zwar zu professionell,
um während einer Ermittlung persönliche Differenzen auszutragen, ein bisschen sticheln konnte er aber dennoch.
Ich fragte mich, wie Gardner darüber dachte.
Jacobsen war nicht in Steeple Hill geblieben. Nachdem sie mich abgeliefert hatte, war sie zurückgefahren, um zu schauen, wie
weit die Spurensicherung mit dem Münztelefon gekommen war. Ich war in einen Wohnwagen geführt worden, wo ich mich umziehen
konnte, und machte mich dann auf den Weg zum Haus.
Gardner stand vor der Eingangstür und sprach mit einer grauhaarigen Frau in einem weißen Overall. Er trug Überschuhe und Handschuhe
und warf mir nur einen kurzen Blick zu, als ich näher kam, unterbrach das Gespräch aber nicht.
Ich stand auf dem Weg und wartete.
Nach einer letzten, kurzen Anweisung an die Beamtin der Spurensicherung wandte sich Gardner schließlich an mich. Seine Abneigung
war beinahe greifbar, er behielt seine Gedanken jedoch für sich und grüßte mich mit einem knappen Nicken.
«Es ist in der oberen Etage.»
Das Haus war, typisch für den Stil und die Ära, so aufgeteilt, dass die Schlafzimmer im Erdgeschoss und die Wohnbereiche im
ersten Stock lagen. Die ehemals weißen Wände und Decken waren durch jahrzehntelanges Rauchen vergilbt, die gleiche ockerfarbene
Patina lag wie ein Schmierfilm auf |259| Türen und Möbeln. Unter dem vorherrschenden Gestank nach kaltem Zigarettenqualm roch es überall muffig nach alten Teppichen
und ungewaschenen Laken.
Das Chaos der Durchsuchung verschlimmerte noch den Eindruck von Verwahrlosung und Verfall. Beamte der Spurensicherung wühlten
durch Kommoden und Schränke und zogen prüfend die Trümmer von Yorks Leben hervor. Als wir nach oben gingen, spürte ich ihre
Blicke. Es lag eine angespannte Erwartungshaltung in der Luft, die ich bereits von Tatorten kannte, wenn eine wichtige Entdeckung
gemacht worden war, aber ich spürte auch unverhohlene Neugier.
Dass ich wieder zu der Ermittlung herangezogen worden war, hatte sich offenbar bereits herumgesprochen.
Gardner führte mich eine Treppe hinauf, in deren Ecken sich Staub gesammelt hatte. Die gesamte obere Etage bestand aus einem
offenen Raum, in dem Küche, Ess- und Wohnbereiche ineinander übergingen. Die meisten Bauteile schienen original zu sein, denn
die raumteilenden Regalwände und Schränke mit
Weitere Kostenlose Bücher