Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
scharfes Messer.«
    »Warum sollte er so etwas Absurdes tun? Sollte es eine Strafe sein? Eine Botschaft?«
    »Die Antwort kann Ihnen wohl nur der Mörder geben.«
    Norris gefiel es gar nicht, wie Pratt sich sofort an ihn wandte. »Und Sie haben ihn gesehen, Mr. Marshall.«
    »Ich habe etwas gesehen.«
    »Eine Kreatur mit einem Cape? Mit einem Gesicht wie ein Totenschädel?«
    »Er sah genau so aus, wie Rose Connolly ihn beschrieben hat. Sie hat Ihnen die Wahrheit gesagt.«
    »Und doch hat der Hausmeister des Krankenhauses keine Spur von einem solchen Monster gesehen. Er sagte mir, er habe nur Sie gesehen, wie Sie sich über das Opfer beugten. Und sonst niemanden.«
    »Die Kreatur stand nur einen Augenblick lang dort. Als der Hausmeister mich fand, war sie schon wieder verschwunden.«
    Pratt betrachtete ihn einen Moment lang. »Was glauben Sie, warum ihr die Zunge herausgeschnitten wurde?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Es ist eine ungeheuerliche Tat. Aber dass ein Student der Anatomie einen Körperteil einer Leiche an sich nimmt, leuchtet schon eher ein. Zu rein wissenschaftlichen Zwecken natürlich.«
    »Mr. Pratt«, schaltete Grenville sich ein, »Sie haben keine Ursache, Mr. Marshall zu verdächtigen.«
    »Einen jungen Mann, der rein zufällig bei beiden Morden in der Nähe war?«
    »Er ist Medizinstudent. Da ist es nur natürlich, dass er sich in der Nähe des Krankenhauses aufhält.«
    Pratt sah Norris an. »Sie sind auf einer Farm aufgewachsen, nicht wahr? Haben Sie Erfahrung im Schlachten von Tieren?«

    »Diese Fragen sind jetzt weit genug gegangen«, sagte Constable Lyons. »Mr. Marshall, es steht Ihnen frei, zu gehen.«
    »Sir«, protestierte Pratt, empört über diesen Eingriff in seine Autorität. »Ich glaube, dass wir dieser Sache längst noch nicht gründlich genug nachgegangen sind.«
    »Mr. Marshall ist nicht verdächtig, und er sollte nicht als Verdächtiger behandelt werden.« Lyons sah Norris an. »Sie können gehen.«
    Norris stand auf und ging zur Tür. Dort hielt er inne und blickte sich um. »Ich weiß, dass Sie Rose Connolly nicht geglaubt haben«, sagte er. »Aber jetzt habe ich die Kreatur mit eigenen Augen gesehen.«
    Pratt schnaubte verächtlich. »Den Schnitter Tod?«
    »Er existiert wirklich, Mr. Pratt. Ob Sie mir nun glauben oder nicht, irgendetwas geht dort draußen um. Etwas, dessen Anblick mich bis ins Mark erschüttert hat. Und ich hoffe bei Gott, es nie wieder zu sehen.«
     
    Wieder hämmerte jemand an seine Tür. Was für einen Albtraum ich hatte, dachte Norris, als er die Augen aufschlug und das Tageslicht durch sein Fenster scheinen sah. Das kommt davon, wenn man zu viele Austern isst und zu viel Brandy trinkt. Dann träumt man von Monstern.
    »Norris? Norris, wach auf!«, rief Wendell.
    Die Visite mit Dr. Crouch. Ich habe verschlafen.
    Norris schlug die Decke zurück und setzte sich auf. Da erst fiel sein Blick auf seinen Mantel, dessen Stoff über und über mit Blut verschmiert war. Er sah auf seine Schuhe hinunter, die er neben dem Bett hatte stehen lassen, und bemerkte das schlammverkrustete Leder. Und noch mehr Blut. Selbst das Hemd, das er am Leib trug, wies ziegelrote Spritzer an Manschetten und Ärmeln auf. Es war kein Albtraum gewesen. Er war mit Mary Robinsons Blut an den Kleidern eingeschlafen.
    Wendell klopfte wieder an die Tür. »Norris, ich muss mit dir reden!«

    Norris stolperte durch das Zimmer, öffnete die Tür und sah Wendell im dunklen Treppenhaus stehen.
    »Du siehst fürchterlich aus«, sagte Wendell.
    Norris ging zurück zum Bett und ließ sich stöhnend auf die Matratze sinken. »Es war eine fürchterliche Nacht.«
    »Ich habe davon gehört.«
    Wendell trat ein und schloss die Tür. Während er sich in der elenden kleinen Dachkammer umschaute, sagte er kein Wort, und es war auch nicht nötig: Die Miene, mit der er die faulenden Dachbalken, den durchhängenden Fußboden und die strohgefüllte Matratze auf dem grob gezimmerten Bettgestell betrachtete, sprach Bände. Eine Maus schoss aus einer dunklen Ecke hervor, huschte quer durchs Zimmer und verschwand unter dem Schreibtisch, auf dem aufgeschlagen ein stockfleckiges Exemplar von Wistars Anatomie lag. So kalt war es an diesem Morgen Ende November, dass sich an der Innenseite der Fensterscheibe Eisblumen gebildet hatten.
    »Du fragst dich sicher, warum ich nicht zur Visite erschienen bin«, sagte Norris. Es war ihm peinlich, dass Wendell ihn so sah, nur mit einem Hemd bekleidet, und als er den Blick

Weitere Kostenlose Bücher