Leichensache
I love you, Mama, I care …
»Spice Girls. Denen müsste man’s auch mal richtig zeigen. Nacheinander. Alle fünf.«
So siehst du aus. Vor allem heute Abend.
Am Tisch in der Ecke unter der Lampe ein junges Paar, sehr verliebt, er mit Rastalocken. Sitzen sich gegenüber, 3 cm Gesichtsabstand. Sie lassen sich nicht los, seine Hand in ihrer, ihre in seiner. Der Rastamann versucht, mit einer Hand eine zu drehen. Sie hält die andere fest. Beide lachen. Er will die andere Hand lösen, sie hält fest. Er versucht, sich rauszuwinden, kleiner Kampf, er stößt an sein Glas, Cola fließt auf die Hose. Wie Kinder. Vielleicht bringt er sie ja heut noch um.
»Sollen wir zusammen ein Taxi nehmen? Oder wir lassen uns einen Streifenwagen kommen.«
»Ach, nee. Taxi will ich nicht. Und du kennst doch die von S. Gibt doch hinterher nur wieder blödes Gerede. Ich glaube, ich gehe. Durch den Park isses ’ne Viertelstunde. Etwas frische Luft. Tut bestimmt gut.«
Schmidt zieht ein Gesicht. »Da latschen wir mindestens ’ne halbe Stunde. Hab keinen Bock auf platte Füße.« Soll sich nicht so anstellen. Kein Taxi.
… und um allein zu sein, sagte ich den andern, ich hab heut keine Zeit. Da traf ich sie …
Er kommt widerwillig mit, hat seinen Deckel vergessen, holt ihn nach. Die Schnäpse waren wirklich zu viel. Sechsunddreißig Euro zwanzig. Ein Euro Trinkgeld? Okay.
Das Pärchen steht auf, sie nimmt ihre Jutetasche, kneift ihn.
Dunkel verkrustetes T-Shirt, Zungenspitze zwischen Zähnen, lila Strangulationsfurche mit rotem Rand.
… und es war Sommer, das erste Mal im Leben, und es war Sommer …
Auf den Straßen wenig Verkehr. Die Bürgersteige sind dreckig. Dosen, Zigarettenschachteln, Plakatreste.
»Die Alte jetzt noch bei mir inner Kiste.« Schmidt steht mit ausgebreiteten Armen vor einer Plakatwand mit Wäschereklame. Zwei Models, superdünn, cooler Gesichtsausdruck, schwarze Bodys, hoch ausgeschnittene Beine, kein Härchen.
»Auf so was stehst du? Magersüchtige Konfirmandinnen!«
Er winkt ab, hat Schwierigkeiten mit dem Geradeausgang. »Komm, mach hier nicht auf außergewöhnlich. Du würd’st die genauso vögeln wie alle andern Kerle auch.«
Auf der nächsten Plakatwand dasselbe Bild. Schmidt bleibt stehen, zeigt mit großer gespielter Geste. »Guck sie dir an, diese Gesichter. Die wollen’s doch nur besorgt haben.« Er steht wie eine Statue. Der findet die wirklich gut.
»Die sehen doch aus wie aus Plastik. Schaufensterpuppen. Das hat doch nichts mit Erotik zu tun. Stell dir bloß mal vor. Die sitzt im Sessel vor dir, du kniest davor und ziehst ihr ganz langsam die Schuhe aus. Dann leckst du an ihrem Bein hoch bis zum Knie, ziehst vorsichtig mit den Zähnen das seidene Höschen runter, drückst ihre Knie nach außen und dann«, zweimal Luft holen, »und dann siehst du vor dir plötzlich diesen geometrisch geformten Streifen stacheliger Stoppel. Kannst du dir Mund-zu-Mund-Beatmung bei Adolf Hitler vorstellen?«
Schmidt sieht sich um wie grade aufgestanden, fängt an zu lachen, gackert, krümmt sich.
»Mund-zu-Mund-Beatmung bei Adolf Hitler, oh, Mann, Kirchenberg, du bist pervers. Das ist echt pervers. Aber«, er wird ernst, »seit wann hatte Hitler ’ne Hasenscharte?« Wieder gackern. Kann sich kaum beruhigen, geht weiter. Ob das schlau war? Der quatscht doch alles weiter.
Er schüttelt den Kopf. »Du hast echt keine Ahnung von Frauen, das merkt man«, er hört auf zu lachen, stützt sich mit rechts an der Hauswand ab, macht sich die Hose auf, pisst, »ist doch alles Blödsinn mit der großen Liebe, ’n bisschen vögeln, okay. Aus Verachtung. Kein Gesülze, keine Spielchen. Halt sie dir bloß vom Hals. Ich brauch die jedenfalls nicht. Von wegen. Komm schon gut allein durch.« Er steht wie eine Statue. Langer Blick gegen die Mauer. Immer noch. Traurige Augen. Er schüttelt den Kopf, winkt ab, schwenkt wieder in Richtung Park. »Nur aus Verachtung.«
Aus der Unterführung vor dem Parkeingang zieht eine Pennerin ihren Einkaufskarren. Ist auf der Suche. Im Park eine junge Frau mit zwei Yorkshire-Terriern. Könnte eine Nutte sein. Schmidt schwankt ohne Worte nebenher, biegt hinter dem Ententeich ab, kurzer Gruß. »Bis morgen.«
Unter den Platanen ist die Luft viel kühler, einige Mücken sind noch unterwegs. Klarer Himmel, viele Sterne sind zu sehen. Wo ist denn der Polarstern? Jetzt müsste Ayse hier sein. Einfach nur so auf ’ner Parkbank sitzen, Sterne ansehen. Noch bei Sener vorbei? Ach ne, bin
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