Leichenschrei
Seine Augen waren vor Angst ganz groß geworden, als ich den Killer erwähnte. Er war kein guter Schauspieler. Zumindest glaubte ich das nicht.
Und Chips Frau Madeline? Er hatte sie als lieb und geduldig beschrieben, ich hatte jedoch den Verdacht, dass sie einfach nur langweilig war.
Aber eine Frau, die keine Kinder bekommen konnte, die von der Affäre ihres Mannes mit einer schönen und jüngeren Frau erfuhr. Die dann vielleicht noch erfuhr, dass er eben unbedingt ein Kind haben wollte. Die vielleicht von Laura verlacht worden war.
Wenn man es so betrachtete, war die Idee, dass Chips Frau Laura Beal umgebracht hatte, nicht weit hergeholt.
Ich war sicher, dass derjenige, der die Morde begangen hatte, einer eigenen inneren Logik folgte. Laura abgeschlachtet, Gary erstickt, Peanut in dem Fangeisen, die Katze des Nachbarn eingeklemmt zwischen zwei Steinen – für mich war der Killer ein zutiefst gestörtes Individuum.
Vielleicht war es auch gar nicht so. Konnten beide Morde mit Emerald Shores und bloßer Gier zu tun haben?
Aber so fühlte es sich ganz und gar nicht an.
Himmel.
Diese Szenarien waren ja alle gut und schön, aber keines schien das richtige zu sein. Sogar die Sache mit dem Grundbesitz schien mir nicht recht zu passen. Was für ein Durcheinander. Laura war jetzt seit elf Tagen tot, Gary Pinkham seit vier. Und wegen der Sache mit den Verträgen fühlte ich mich noch verwirrter, was die Tode betraf.
Als ich auf den Parkplatz vor dem Gericht einbog, blieb ich mit dem Fuß auf dem Gas. Hank würde mir den Hintern versohlen, weil ich Lauras Vertrag hatte mitgehen lassen. Dafür war ich jetzt nicht in Stimmung. Ich hätte Drew besuchen können, war aber viel zu wütend über seine bevorstehende Heirat mit Annie. Wenn ich wieder mit Drew sprach, wollte ich meinen Schutzschild aus Vernunft tragen.
Der Killer oder sein Komplize hatte mich gewarnt. Ich war verfolgt worden. Jemand war bei mir eingedrungen. Anscheinend kam ich der Sache näher.
Aber warum auf den nächsten Schachzug des Mörders warten? Zeit, das Ganze etwas anzukurbeln.
Es ging auf Mittag zu, als ich über die Grand Street zu Patsy Lees Laden fuhr.
Patsy stand hinter dem Ladentisch und hofierte eine Frau, die mit Seide und Diamanten behängt war. Wie konnten andere Leute denn das Unechte an diesem Lächeln nicht bemerken? Das Leben war voller Rätsel wie diesem. Ich schlenderte zu dem Ständer mit den Sonderangeboten. Verschiedene Pullis waren von sechshundert Dollar auf fünfhundertfünfzig Dollar reduziert worden. Echte Schnäppchen.
Die Diamantentussi brach schließlich begraben unter Einkaufstüten und in einer Woge aus Chanel Nr. 5 auf. Patsy zwinkerte mir zu und lächelte dann – auf ihre ganz eigene Art, die Ärger bedeutete.
»Ja, wenn das nicht die kleine Tally Whyte ist. Oder sollte ich lieber Emma Blake sagen.«
Ich ging auf Patsy zu. Am liebsten hätte ich ihr den Stinkefinger gezeigt.
»Nenn mich Tally. Das sagen jetzt alle.«
Patsy setzte sich auf die Seitenlehne des Sofas. »Netter Auftritt neulich, Tally. So zu tun, als würdest du nach Drew suchen.«
»Das habe ich auch.«
»Und hast du ihn gefunden?« Ihr Grinsen war fies.
»Sozusagen.«
»Und was ist aus deinem Nichtsnutz von Vater geworden?«
»Lass es gut sein, Patsy. Mein Vater ist vor langer Zeit gestorben. Ich will vielmehr über das Hier und Jetzt reden.«
Sie presste die Lippen aufeinander und wandte den Kopf ab. »Du hast dich zu deinem Vorteil entwickelt. Als Kind sahst du grässlich aus.«
»Danke für das Kompliment.«
Sie beugte sich vor. »Stimmt das, was ich da gehört habe? Dass du so was wie eine nationale Berühmtheit bist?«
Ich fragte mich, wer da getratscht hatte. »Nicht wirklich. In gewissen professionellen Kreisen bin ich bekannt für das, was ich tue.«
»Irgendwas mit Leichen, stimmt’s?«
»Nett ausgedrückt, wie immer. Ich bin Psychologin. Mein Spezialgebiet ist die Trauerarbeit mit Angehörigen von Mord-opfern.«
»Widerlich. Wie schade, dass du nicht was, äh, Normaleres machen konntest.«
Ich lachte. »Wie kannst du nur so danebenliegen? Erstaunlich. Aber pass auf. Ich möchte eigentlich über dich und Drew reden.«
Sie wedelte mit ihren roten Nägeln. »Wie dein Vater, ein alter Hut.«
»Ach wirklich? Warum hatte ich dann den Eindruck, dass du noch nicht geschieden bist?«
Ihr Pfirsichteint wurde fleckig. »Sind wir auch nicht. Lass dir von niemandem was anderes erzählen. Verstanden?«
»Ich habe verstanden, dass
Weitere Kostenlose Bücher