Leichenschrei
und Stiefel und hebt mich wieder hoch. Er hat auch einen Koffer in der Hand, und der ist schwer.
Wir rennen aus dem Haus und laufen den Weg hinunter. Ich höre etwas krachen, und wir fallen und kullern weiter, bis wir am Fluss liegen bleiben. Ich bin schmutzig und verkratzt. Und Daddy hat einen Schnitt über den Augen. Er ist rot und blutet. Er nimmt mich an der Hand, und wir gehen zu unserem Boot, das im Jachthafen des Flusses vertäut ist.
Ich zittere, und er setzt mich im Bug unseres kleinen Segelbootes ab. Dann legt er eine kratzige Decke um meine Schultern.
Er hisst nicht die Segel, sondern schiebt die Ruder durch die Riemen und fängt an zu rudern. Sein Hemd ist schwarz und voller Flecken, und das macht mir mehr Angst.
Es ist Nacht, und ich kann weder Mond noch Sterne sehen, weil der Himmel rot-orange und voller Rauch ist.
Daddy rudert, und ich sehe zu, wie das Feuer in unserem Haus kleiner und kleiner wird.
»Alles wird gut, Schatz. Du wirst schon sehen.«
Natürlich war es das nicht geworden. Ich drückte Peanut an mich. Mein Dad hatte uns in jener Nacht gerettet. Und wenn Peanut nicht da gewesen wäre, um mich zu retten, dann würden wir jetzt in Drews Keller verbrennen.
Die Erinnerung an die Nacht unserer Flucht aus Winsworth war nicht neu. Ich hatte sie über die Jahre immer wieder durchlebt. Ich hatte ja solche Angst gehabt!
Aber dieses Mal sah ich einige Details zum ersten Mal deutlicher als vorher.
Ich erkannte einen der Männer, die uns beobachteten, auch wenn er sich genau wie mein Dad angezogen und sich sogar einen Bart angeklebt hatte. Es war Noah Beal, und er hatte einen Kanister in der Hand gehalten. Einen roten Benzinkanister.
Daddy hatte das Feuer nicht gelegt. Noah hatte es getan.
Ich fuhr mir mit der Hand über die Stirn. Es fühlte sich gut an, die Wahrheit zu kennen. Da gab es wirklich nur eine einzige Möglichkeit. Mein Vater war tot, und ich konnte Annie nicht ihren Vater wegnehmen. Manchmal lässt man sogar die schlimmen Geschichten besser ruhen.
Drews Tod und das Feuer in seinem Haus waren jetzt. Zumindest dafür würde jemand bezahlen.
In der Ferne hörte ich im Wald das Aufheulen eines Automotors. Ich würde den Brandstifter finden, das würde ich, aber zuerst einmal brauchten wir eine Mitfahrgelegenheit.
* * *
Ich zog Peanut tiefer in den Wald, in die Richtung, aus der das Motorengeräusch gekommen war. Ich vermutete, dass sich in der Nähe die Zufahrt zu einem anderen Camp befand, parallel zu Drews Zufahrtsweg.
Das Wetter war umgeschlagen, es war jetzt grau und stürmisch und passte gut zu meiner Stimmung. Ich roch die Flammen, roch, wie Stoff, Holz und Fleisch verbrannten. Inzwischen hatte bestimmt jemand die Feuerwehr verständigt.
Wir erklommen einen bewaldeten Hügel, durchquerten eine Talsenke und kamen sogar an einem verfallenen Baumhaus vorbei, das wer weiß wann gebaut worden war. Einmal blickte ich zurück, als wir auf einer kleinen Erhöhung eine Pause einlegten. Über Drews Camp stieg dichter Rauch auf.
Kaum waren wir weitergegangen, hörte ich den Knall einer Fehlzündung. Ich versuchte zu erkennen, aus welcher Richtung das Geräusch kam.
»Komm, altes Mädchen, weit kann es nicht mehr sein.«
Wir liefen einen Abhang hinunter, durchquerten ein ungepflegtes Kohlfeld und kletterten dann zu einem großen Ahorn auf der nächsten Anhöhe hinauf.
Unter uns lief eine Schotterstraße entlang.
»Wir haben es geschafft, altes Mädchen.« Peanut setzte sich auf die Hinterläufe und schnüffelte in die Luft.
Uns gegenüber war eine große Scheune, umgeben von mit Maschendraht eingefassten Weiden. Und ein Stück die Straße hinauf lag in fröhlichem Gelb das Haus der Saccos.
Wie bei einem Zauberwürfel passte plötzlich alles zusammen. Das Lied, das ich den Brandstifter hatte pfeifen hören, war »If I Had a Hammer«; Will hatte dieses Lied gesummt, als ich nach Garys Tod zu Besuch gekommen war.
Ich war ohne größere Schwierigkeiten hierher gelaufen, und ich hatte den Verdacht, dass Will genauso einfach von hier zu Drews Heim gegangen war.
Will war der Feuerteufel. Das sagte auch mein Bauch. Hast dich selbst durch ein Lied verraten, du Trottel.
Hatte er auch Laura und Gary umgebracht? Das war die Eine-Million-Dollar-Frage.
Warum nicht? Schließlich hatte er auch mich und Peanut beinahe getötet.
Mit Peanut an meiner Seite glitt ich den Abhang hinunter. Scooter spielte im Hof. Das arme Kind. Und die arme Joy. Aber das gab mir auch eine Chance. Und eine
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