Leichenschrei
…
Steve malte. Carmen hatte gesagt, das sei einer der Gründe gewesen, warum Laura ihn so attraktiv gefunden hatte.
Das Gemälde zu verändern war einfach bizarr.
Ich betrachtete die Leinwand ein letztes Mal. Der Pinsel mit dem grünen Griff, der eingetrocknet auf der Staffelei gelegen hatte, stand nun ebenfalls in dem Terpentinglas.
Als ich Lauras Haus verließ, war ich noch viel besorgter als zuvor.
35
Alle da
Auf der Fahrt zurück machte mir das Verhalten des Malers mehr und mehr Kopfzerbrechen. Wenn der Künstler von vergangener Nacht und der Mörder ein und dieselbe Person waren, dann konnte die Psychose dieses Menschen eine ganze Reihe von Ursachen haben. Seine oder ihre Beziehung zur Umwelt konnte das Ergebnis einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung, einer manisch-depressiven Erkrankung oder einer Anpassungsstörung sein und sich jetzt zunehmend zeigen. Es konnte auch sein, dass der Killer an Depersonalisation litt.
Schwer zu sagen, schwer zu verstehen. Aber wie auch immer die Diagnose lautete: Ich ahnte, dass der Zustand des Killers sich verschlechterte.
Etwas hatte sich für den Täter radikal geändert, um Drew zu töten. Aber was? Nur Annies bevorstehende Hochzeit mit ihm war neu. Aber die hatte sie ja rückgängig gemacht. Natürlich war es möglich, dass der Mörder nicht wusste, dass Annie die Hochzeit abgesagt hatte.
Ich bog viel zu schnell in meine Auffahrt ein. Ich war zu sehr mit Nachdenken beschäftigt.
Drew und Laura – da war die Verbindung. Konzentrier dich darauf, sagte ich mir.
Penny sprang vom Sitz und wurde von einer eifrig mit dem Schwanz wedelnden Peanut begrüßt. Sie und Penny berührten sich mit der Schnauze, und weg waren sie. Drinnen fand ich Hank noch immer schlafend auf dem Sofa. Seine Stirn glühte vom Fieber. Ich legte ihm ein feuchtes Tuch auf die Stirn, gab ihm noch mehr Ibuprofen und etwas Apfelsaft, den er prompt wieder erbrach.
Ich wischte alles auf und erneuerte das feuchte Tuch.
»Ich rufe den Arzt«, sagte ich.
»Wehe, du denkst auch nur daran«, knurrte er.
Ein gutes Zeichen, dass er es überstehen würde. »Wenn es dir morgen nicht besser geht, dann schleife ich dich persönlich zum Arzt.«
Die Antwort bestand in einem Grunzen. Ich wollte Hank nicht allein lassen, solange er Fieber hatte. Ich schluckte eine Handvoll Vitamine und ging hinaus. Der frische Wind ließ mich klarer sehen. Ich würde diesen Ort vermissen. Ich setzte mich in den Aluminiumstuhl und stellte die Füße auf das Geländer. Ich beobachtete Penny und Peanut, die am Strand herumtollten.
Ich kam mir vor, als stände ich an einem Abgrund und als befände sich die Welt am Rande einer Katastrophe. An diesem Ort war ich schon einmal gewesen, und die Haut an meinem ganzen Körper hatte gekribbelt. Es war kein guter Ort.
Der Tag verging mit wenig Unternehmungen und großen Sorgen – um Hank und Annie, Joy, Steve und Daniel. Sogar um Will Sacco machte ich mir Sorgen. Ich schaffte es, mich völlig in der Frage nach dem Wer, Wann und Warum zu verlieren.
Alle paar Stunden verabreichte ich Hank Ibuprofen und kalte Umschläge. Und ich musste noch zweimal wischen: das Ergebnis misslungener Versuche mit Apfelsaft.
Gegen neun Uhr abends behielt Hank wenigstens etwas Cola bei sich und anschließend einen Teller Hühnerbrühe. Ich erhielt keine seltsamen Anrufe, niemand drang in mein Haus ein, und der erhoffte Zettel von Onkel Lewis – mit dem Namen des Mörders – kam auch nicht.
Mein Computer ging nach wie vor nicht, doch ich begann eine handschriftliche Auflistung darüber, wer in der Nacht von Lauras Ermordung wo gewesen war. Ich entschloss mich, ein paar Anrufe zu tätigen. Ich rief bei Chip Vandermere an, hatte seine Frau am Apparat und hörte mir eine Wiederholung des Bond-Marathons an, den sie und Chip an besagtem Abend angeblich absolviert hatten. Mitch Jones begann zu husten, als ich meinen Namen nannte. Aber auch er behauptete, dass er mit Patsy in der Nacht von Lauras Tod im Kino gewesen sei. Beider Alibi konnte falsch sein, aber es dürfte schwierig werden, das zu beweisen.
Ich rief den einzigen Seth Spinner aus dem Telefonbuch an. Mr Spinner knallte den Hörer auf, als ich sein Pokerspiel mit Daniel und Noah erwähnte. Ich versuchte es erneut, holte ein paar Wörter mehr aus ihm heraus, und wieder wurde der Hörer aufgeknallt.
Meine Güte, was für ein reizbarer Zeitgenosse, und alles wegen einer Runde Poker.
Ich ging mit dem Finger die Liste durch. Will Sacco hatte an
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