Leichenschrei
mir sagen?«
»Ich weiß es auch nicht, Liebes. Aber ich bin sicher, dass er es nicht so gemeint hat.« Insgeheim bat ich um Absolution, weil ich Annie angelogen hatte.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich liebe meinen Vater, aber …«
»Also bist du eine Weile bei Drew geblieben.«
Sie nickte. »Wir haben uns, och, über alles Mögliche unterhalten. Es war wunderbar. In dem Moment wirkte er gar nicht krank. Er sagte, dass er mich liebe, aber dass wir nicht heiraten sollten. Oder Kinder kriegen. Dass er dafür zu krank sei. Und er begann zu weinen, weil er sich immer Kinder gewünscht hatte. Er sah so verbraucht aus, Tally. Als ob er wüsste, dass er den Kampf verlieren würde. Ich bot ihm an, ihn in die Stadt zu fahren, aber er lehnte ab. Er war zu erschöpft. Er legte sich auf die Couch, und kurz bevor er eingeschlafen ist, hat er mich noch einmal ganz lieb angelächelt.«
»Und dann bist du gegangen.«
»Ja«, sagte sie und schluchzte. »Drew tat mir so leid, aber ich fühlte mich gut. Stärker. Aber wenn ich geblieben wäre, würde er jetzt noch leben. Wenn ich in die Heirat eingewilligt hätte, wäre von alldem nichts passiert. Ich weiß das.«
»Das stimmt nicht. Glaub mir.«
Ich hatte den Verdacht, dass es sich genau umgekehrt verhielt. Eben weil jemand dachte, sie würde Drew heiraten, war er ermordet worden. Aber das würde ich ihr nie sagen können.
Carmen setzte sich zu uns und schenkte Annie Kaffee nach. Annie lächelte dankbar.
»Ich werde bald alles aufklären«, sagte ich. »Versprochen. Vertrau mir einfach.«
»Das tue ich«, sagte Annie. »Penny ist übrigens ein wunderbarer Hund.«
»Das ist sie«, sage ich. »Noch eine Frage, ja? Hast du Drew an diesem Abend ein paar Cookies mitgebracht?«
Annie runzelte die Stirn. »Nein. Wieso?«
»Als ich am nächsten Morgen bei ihm war, lagen ein paar Schokokekse auf dem Tisch, genau solche, wie du sie machst.«
»Die waren nicht da, als ich gegen Mitternacht von dort weg bin.«
Carmen begleitete mich zurück zum Auto. Die Katzen sahen uns hinterher, ihre Blicke ruhten auf Penny. Der Junge und der Mann dagegen nahmen uns nicht wahr, so vertieft waren sie in ihre Schrauberei.
»Ich muss noch mit dir reden«, sagte Carmen. »Allein.«
»Ich habe das Gefühl, dass es Annie bald besser geht. Sie wirkt stärker, weißt du.«
Carmen legte eine Hand auf meinen Arm. »Ja. Ich, äh, muss immer wieder an Patsy denken, und zwar nichts Gutes.«
»Wie kommst du denn jetzt auf sie?«, fragte ich.
»Ich weiß auch nicht. Aber ich traue ihr nicht, nicht, wenn es um Drew geht. Es braucht nicht viel, um sie nicht zu mögen.«
»Genau wie bei Noah.«
»Stimmt.« Sie schob ihre Brille nach oben. »In Wahrheit mache ich mir auch mehr Sorgen um Steve. Ich … ich. Äh, als Annie und Noah in Portland waren, bin ich ihm gegenüber mit der Nachricht rausgerückt, dass Annie Drew heiraten würde.«
»Herrje, Carmen.«
»Na ja, tut mir ja auch leid, verdammt! Aber Steve wollte ständig wissen, wohin sie gefahren sind.«
»Wusstest du, dass Hank ihn und Laura in flagranti im Bett ertappt hat?«
»Das war Steve? El idiota! Darauf wäre ich ja nie gekommen. Und wusstest du, dass Laura behauptet hat, Hank sei der Kindsvater?«
Das hatte ich nicht gewusst, und es schockierte mich. »Dann hat Laura vielleicht Steve die Schuld daran gegeben, dass sie Hank verloren hat.«
»Entweder das, oder Steve war der Vater des Kindes und …« Sie wandte sich ab.
»Über das ›und‹ willst du gar nicht nachdenken, oder?«
»Nicht wirklich. Es könnte bedeuten, dass Steve alle drei umgebracht hat. Alles nur wegen Lauras verrückter Ideen.«
Ich legte den Arm um ihre Schultern. »Das meinst du doch nicht wirklich.«
»Nein. Na ja, irgendwie schon. Ihr Leben …« Sie warf die Hände in die Luft. »Sie ist immer wieder mit einem blauen Auge davongekommen. Aber was, wenn Steve wirklich der Vater ihres Kindes war?«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass Drew es war. Etwas zum Nachdenken. Ich muss jetzt los.«
Ich umarmte sie, Penny sprang auf den Beifahrersitz, und ich ließ mich hinters Lenkrad gleiten.
Carmen lehnte am offenen Fahrerfenster. »Es könnte sein, dass gestern Nacht jemand in Lauras Haus gewesen ist.«
»Wirklich. Weil …?«
»Gegen neun dachte ich, ich hätte ein Licht gesehen, aber … Bob war nicht da. Ich konnte die Kinder nicht allein lassen.«
»Du würdest doch nicht etwa allein nachts da rübergehen, oder?«
»Und ob ich das würde. Meine
Weitere Kostenlose Bücher