Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
die vor ihm am Boden lagen. Und auf die Frau, die seine Schläger so leicht besiegt hatte wie ein Kind eine Fliege zertritt. Er brüllte unflätige Beschimpfungen und versuchte seine Waffe zu ziehen. Die Frau war schneller bei ihm, als er die Klinge aus der Scheide zerren konnte und einen Wimpernschlag später lag er mit gebrochenem Rücken am Boden. Der Mann, dem Rebekka das Knie zertreten hatte, schrie noch immer wie am Spieß. Die Vampirin bückte sich und trank, bis er verstummte. Sie fühlte, wie die Kraft sie durchströmte, die ihr das Blut verlieh.
Das Mädchen lag wimmernd im Dreck der Straße. Sie hatte Angst, Rebekka konnte ihre Angst riechen. Sie kniete sich neben ihr nieder. Das Mädchen war an den Händen gefesselt. Rebekka zerriss die Seile, als seien sie nur dünne Fäden. „Keine Angst“, flüsterte sie der Kleinen zu. „Ich werde Euch nichts tun. Ihr seid frei! Geht und lebt Euer Leben! Verlasst diese Stadt! Geht!“ Rebekka ging zu den Toten und leerte ihnen die Taschen. Sie legte dem Mädchen die Münzen, die sie fand, in die Hand und schloss ihre Finger darüber.
„Fangt ein neues Leben an!“ Dann erhob sie sich und war so schnell in der Dunkelheit verschwunden, dass das weinende Mädchen ihr kaum mit den Augen folgen konnte. Die Kleine lag noch einen Augenblick schluchzend zwischen den vier Leichen, dann raffte sie sich auf und rannte so schnell sie konnte davon. Sie folgte dem Rat der geheimnisvollen Fremden und verließ die Stadt noch vor Morgengrauen.
Rebekka ging nicht direkt wieder zurück zu Nostradamus‘ Haus. Sie stand noch lange am Ufer der Lez und starrte in die vorbeirauschenden Fluten. Sie spürte die Kraft des Blutes, das sie getrunken hatte, in ihren Adern und wie bei den ersten Malen war sie nahezu überwältigt von seiner Kraft. Es war ein gutes Gefühl, vom körperlichen Aspekt her betrachtet, aber sie quälte sich mit ihrem schlechten Gewissen. Sie hatte getötet. Es war nötig, unvermeidlich, unabwendbar, das wusste sie, und doch hatte sie Gewissensbisse. Sie hatte das Blut von Menschen genommen, die schlecht und böse waren, von Zuhältern und Mördern, und doch waren da diese Zweifel. Würde sich das je ändern? Georgios hatte sich irgendwann damit abgefunden, aber auch er hatte es immer nur als notwendiges Übel angesehen.
Der Morgen dämmerte schon und die ersten Händler und Kaufleute zogen durch die Straßen Montpelliers, als sie zu Nostradamus‘ Haus zurückkam. Von Steinborn schlief tief und fest. Rebekka überlegte, ob sie in ihr Zimmer gehen sollte. Schlaf brauchte sie keinen und sie würde auch keinen finden können. Sie entkleidete sich und legte sich neben den Schlafenden, schob sich dann vorsichtig unter seine Decke, ohne ihn zu wecken. Es fühlte sich gut an, neben ihm zu liegen, seine warme Haut zu spüren. Rebekka legte ihren Arm um ihn und weinte leise in das Kissen.
45. Kapitel
Karl Stabener lag am Fuß des Fogarasch. Über ihm erhoben sich die steilen Mauern von Burg Poenari. Er war tief gestürzt und während er fiel, hatte er mit seinem Leben abgeschlossen. Diesen Sturz würde er nicht überleben. Aber er war wieder aufgewacht, entgegen seinen Erwartungen. Sein Körper schmerzte, brannte wie Feuer. Er versuchte sich zu bewegen, aber die Schmerzen waren mörderisch. Er hatte sich bei dem Fall nicht umgebracht, aber seine Beine waren gebrochen, ebenso sein linker Arm und er glaubte, dass auch ein paar Rippen gebrochen waren, denn jeder Atemzug schmerzte. Auch wenn er noch am Leben war, über kurz oder lang würde er an seinen Verletzungen sterben.
Stabener war ein Soldat und Krieger und wusste genau, wie seine Chancen standen. Er hatte Männer an weniger schweren Wunden elend zu Grunde gehen sehen. Wenn seine Brüche versorgt würden, könnte er vielleicht mit dem Leben davonkommen, doch die Hoffnung auf ärztliche Hilfe war gering. Er würde verhungern oder an Wundbrand verrecken. Immer noch besser als das, was ihm auf der Burg bevorgestanden hatte. Er hätte mit dem Deutschen und seiner Freundin die Festung verlassen sollen. Aber er war geblieben und nun war es zu spät. Stabener hatte gehofft, in den Dienst Vlad des Dritten übernommen zu werden. Der Woiwode hatte immer wieder gegen die Türken gekämpft und Stabener war ein erfahrener Soldat, der hunderte von Kämpfen überstanden hatte, ein Mann, wie ihn ein Kriegsherr brauchen konnte.
Aber etwas war mit Vlad Draculea geschehen. Nach einem nächtlichen Überfall hatte er sich verändert.
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