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Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)

Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)

Titel: Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph G. Kretschmann
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Körper schon lange genug allein gelassen. Viel länger hätte er nicht damit warten dürfen, in seine fleischliche Hülle zurückzukehren. Mit schmerzendem Rücken und tauben Beinen hing er im Sattel seines Pferdes. Er blinzelte und versuchte, sich aufzurichten. Das Tier stand auf einer Lichtung und graste friedlich. Nostradamus sah sich um. Er war allein. Wo waren die anderen? Wo war Vlad Draculea? Wo war Leopold von Segescin? Und wo in aller Welt war er selbst?
    Die Trance, in die er sich versetzt hatte, war anstrengend gewesen. Er hatte eine Anwesenheit wahrgenommen, etwas oder jemanden, den er aber nicht hatte erreichen können. Aber dieses Wesen stand in Zusammenhang mit dem Geschehen. Er konnte auch erkennen, dass das Wesen entscheidend sein konnte für das, was noch geschehen würde. Noch schlief der Drache, aber er würde erwachen. Irgendwann ... Der große Nachteil, wenn man seinen Körper verließ, war, dass man nicht mitbekam, was mit dem Fleisch geschah, wenn der Geist nicht zu Hause war. Es war noch immer Nacht. Oder schon wieder? Nostradamus hattet jedes Zeitgefühl verloren.
    Er versuchte die tauben Finger von den Fesseln zu befreien, die von Segescins Diener ihm angelegt hatte, aber der Mann hatte gute Arbeit geleistet. Früher hätte er die Seile vielleicht mit seinen Zähnen lösen können, aber das Alter forderte seinen Tribut und seine Zähne saßen längst nicht mehr so fest wie einst. Der alte Mann seufzte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als auf die Hilfe zu warten, die kommen würde. Seine Reise in die andere Welt war nicht so erfolgreich gewesen, wie er es sich gewünscht hatte. Immerhin hatte er sehen können, dass der Drache noch nicht erwacht war. Und er hatte gespürt, dass etwas geschehen würde.
    Es war ein vages Gefühl, unklar und wie Nebel am Morgen, aber das kannte der Prophet. Selten waren seine Visionen klar und deutlich. Meist waren es Andeutungen, die er interpretieren musste. Auch diesmal war keine Klarheit über ihn gekommen. Er hatte gespürt, dass da einer war, der ihnen helfen konnte. Er hatte versucht, mit diesem einen Kontakt aufzunehmen, aber der eine war nicht auf der anderen Ebene zugegen gewesen. Nostradamus spielte mit dem Gedanken, wieder aus seinem Körper auszutreten, Gefahr hin oder her. So, wie es im Augenblick aussah, konnte er sich nicht selbst helfen und die Gefahr, dass seinem Körper Schlimmes widerfuhr, war so oder so gegeben.
    Er atmete tief und gleichmäßig ein und wollte sich eben daranmachen, die nötigen Gedanken hervorzurufen, die ihn in Trance versetzen sollten, als sich ein Schatten aus dem Dunkel der Bäume schälte. Der Schatten kam näher, wurde schärfer. Michel de Notre-Dame entfuhr ein leiser Fluch. Es war der Diener von Segescins! Ausgerechnet dieser Deutsche, Karl Stabener! Der vernarbte Krieger stieg von seinem Pferd und kam zu Nostradamus herüber. Er langte nach den Zügeln des Pferdes, das den Franzosen trug und zog das Tier zu sich heran. Der Deutsche zog sein Messer und Michel de Notre-Dame glaubte seine letzte Stunde heranbrechen zu sehen.
    Doch zu Nostradamus‘ Verwunderung durchtrennte der Mann die Seile, die ihn im Sattel hielten. Nostradamus‘ Beine waren völlig ohne Gefühl und kaum waren die haltenden Seile gekappt, glitt er haltlos aus dem Sattel. Es würde ein harter Aufprall werden! Aber der Deutsche fing ihn auf und legte ihn behutsam auf den Boden. Dann zerschnitt er auch die Fesseln, die seine Hände banden. „Geht es Euch gut?“, fragte der Deutsche in gebrochenem Französisch. Michel nickte. „Es geht!“, antwortete er auf Deutsch. Stabener ging zu seinem eigenen Pferd und kehrte mit einem Wasserbeutel zurück. Er setzte ihn dem Alten an die Lippen und ließ ihn trinken. Das Wasser tat ihm gut. Nostradamus spürte das Leben in Beine und Hände zurückkehren. Es würde unangenehm werden, denn das Blut hatte sich zu lang in den Adern gestaut.
    „Was ist geschehen?“, fragte er und bewegte vorsichtig seine Finger. Tausend Nadelstiche peinigten ihn. Der Deutsche ließ sich im Gras neben ihm nieder. Er sah ihn mit ernstem Blick an. „Leopold ist tot. Mein Schwur ihm gegenüber ist hinfällig.“ Der Deutsche hob den Wasserbeutel aus Schafsleder erneut und ließ den alten Mann wieder ein paar Schlucke trinken. „Was ist geschehen?“, wiederholte er seine Frage, denn Stabeners Aussage war vielleicht erfreulich, aber keine Antwort auf Nostradamus‘ Frage. In kurzen Sätzen erzählte Stabener von dem Angriff des

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