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Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Titel: Leichentücher: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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restlos verstrickt in seine Wahnvorstellungen. Vermutlich war er das schon seit Langem gewesen, zu lange, als dass noch etwas umgepolt werden könnte.
    Kaarlo Finne hatte, soweit man wusste, nie über psychische Probleme seines Bruders gesprochen, und auch Olavis ehemalige Kollegen bei der Eisenbahn hatten ihn allenfalls als ein wenig seltsam und verschlossen in Erinnerung.
    Doch Finne hatte im Keller seines Hauses Katzen gesammelt, vielleicht nicht unter den Augen seines Bruders, aber spätestens seit dessen Tod. Die Krankheit war möglicherweise während des Krieges ausgebrochen. Der Vater vermisst, danach der Junge selbst verschwunden. Mikael rechnete nach: Finne war damals siebzehn gewesen. Die Zeiten waren chaotisch, im Land herrschte Panik, man fürchtete, von der Sowjetunion besetzt zu werden. Vom Krieg traumatisierte Menschen allerorten. Ein Ausreißer war sicher kaum aufgefallen oder alsseltsam betrachtet worden. Wer weiß, wie krank Finne schon damals gewesen war. In den Kriegsjahren wurde nicht diagnostiziert. Von der Front kehrten ständig nervliche Wracks zurück, die für gesund erklärt wurden, wenn sie keine körperlichen Gebrechen hatten. Preußische Kriegspsychologie, damals die offizielle Linie im Land. Eine Flasche Schnaps in die Hand, dann zurück an die Arbeit und in den Kreis der Familie.
    Mikael legte die Mappe auf den Tisch und gähnte herzhaft, dachte dabei zerstreut an sein Lungenvolumen und die winzigen dehnbaren Lungenbläschen, in die die Luft eindrang.
    Er blickte durch das Fenster in die Station, wo die alte Alli mit gefalteten Händen im Kreis lief, ab und zu stehen blieb und ihren Gang dann fortsetzte wie ein seinem Instinkt folgendes Insekt.
    Gedankenverloren beobachtete Mikael die Bewegungen der Frau und strich sich über den Hals. Anfangs fiel ihm nicht auf, dass Allis Geschäftigkeit tatsächlich eine innere Logik besaß. Die alte Frau betrachtete die Patienten, die im Aufenthaltsraum saßen, vergewisserte sich, dass niemand sie beachtete, und machte dann einen kurzen, verstohlenen Abstecher in den Männerflügel. Vor der Tür zu Olavi Finnes Zimmer, vor dem rautenförmigen Fenster, blieb sie stehen.
    Am Ende der Abendschicht, als die Nachtpfleger eintrafen, lernte Mikael noch zwei neue Kollegen kennen. Sie begrüßten sich rasch, ohne allzu viele Worte zu verlieren.
    Mitten im Bericht zum Schichtwechsel ließ Autio die Mappe sinken und starrte auf das Fenster zum Aufenthaltsraum.
    »Finne, zum Teufel«, sagte er.
    Mikael wandte den Kopf und sah Finne im Aufenthaltsraum, gleich neben dem Fenster des Stationszimmers. Sein Oberkörper war nackt, und die Mienen der Patienten im Aufenthaltsraum ließen darauf schließen, dass er auch keine Hose trug.
    Finne klopfte ans Fenster.
    Der eine der zum Nachtdienst eingetroffenen Kollegen, ein spindeldürrer Mann, der während der Besprechung unablässig geseufzt hatte, sprang auf und öffnete die Tür.
    »Ab ins Zimmer und anziehen!«, brüllte er.
    »Ich habe dem da was zu sagen«, erklärte Finne und zeigte auf Mikael.
    »Erst, wenn du angezogen bist«, antwortete der Nachtpfleger und packte Finne am Arm. Mikael stand auf und eilte ihm zu Hilfe.
    »Ungefähr dreitausendfünfhundert Jahre«, sagte Finne, an Mikael gewandt. »Genau weiß man es nicht. Damals gab es die Plagen. Der Nil füllte sich mit Blut.«
    »Na schön, aber jetzt gehen wir«, mahnte der Pfleger und schob Finne an der Schulter und am Ellbogen vorwärts.
    »Brauchst du Hilfe?«, fragte Mikael.
    »Nein«, sagte der Kollege über die Schulter. Vielleicht zu schnell, als fürchtete er sich vor Mikaels Unterstützung.
    Finne wehrte sich nicht, sondern bemühte sich, mit dem Pfleger Schritt zu halten. Er wurde in sein Zimmer geschoben wie ein aufsässiges Kind. Ein dreieinhalb Jahrtausende alter Mann.

9
    Als er auf der Huutoniementie in Richtung Stadtmitte fuhr, sah Mikael vor sich nur die dunkle Diele, die sie frisch tapeziert hatten, bevor Saana krank wurde.
    Sie hatten sich gestritten, als die Tapete vor der endgültigen Berührung mit dem Kleister ihren Platz suchte. Es war eine ernste Angelegenheit gewesen. Sie staffierten ihr Nest aus, für alle Ewigkeit, für die Familie, einen Hund und zahllose Besucher. Das Muster musste genau stimmen.
    Mikael nahm das Handy aus der Manteltasche und wählte Saanas Nummer. Er hatte das Telefon auch auf der Station bei sich, seit Saanas Erkrankung, obwohl es nicht erlaubt war. Man hatte den Pflegern geraten, ihren Angehörigen für

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