Leicht und locker kommunizieren
an, wie man aussieht oder was für Klamotten man trägt. Jeder ist ganz bei sich und macht auf der Matte seine Übungen. Hier ist man viel sichtbarer. Unter diesen Tai-Chi-Profis gibt es offensichtlich eine Kleiderordnung. Das hat mir vorher niemand gesagt. Ich komme mir ziemlich abgewetzt und armselig vor.
Den Tai-Chi-Lehrer erkenne ich sofort. Er ist der Typ mit dem Klemmbrett. Er trägt auch so einen Asia-Anzug. Und er hat seine langen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Ist das etwa so ein Guru-Typ, der hier seine treue Anhängerschaft um sich sammelt? Das kann ja heiter werden!
Während er mit den Leuten plaudert, hakt er die Namen auf einer Liste ab und kassiert hin und wieder Geld. Jetzt redet er gerade mit einer blonden Frau, die einen seidigen, weißen Asia-Anzug trägt. Sie sieht darin wunderschön aus, wie ein Tai-Chi-Engel.
Warum hab ich bloß diese blöde Jogginghose angezogen?
Minderwertigkeitsgefühle durchfluten mich und ein Teil meiner Aufmerksamkeit registriert erstaunt, dass sich ein dezentes Schubladen-Denken in meinem Kopf breitgemacht hat. Sich armselig vorkommen und Leute in Schubladen einsortieren – das gehört irgendwie zusammen.
Ich versuche mich daran zu erinnern, was ich in meinen Trainings und meinen Büchern immer predige: das eigene Selbstwertgefühl nicht am Aussehen festmachen. Eine präsente, aufrechte Körperhaltung einnehmen, sodass man theoretisch auch im Schlafanzug überall souverän auftreten könnte. Dabei fällt mir ein, dass ich tatsächlich einen Schlafanzug habe, der tausendmal besser aussieht als das, was ich jetzt trage. Wäre ich in diesem Schlafanzug gekommen, würde ich gut dastehen.
Ich versuche, in eine selbstsichere Körperhaltung zu gehen. Rücken gerade, Kopf hoch, Schultern runter. Der Tai-Chi-Guru hat mich gesehen und kommt näher. Er lächelt mich an und ich muss zugeben, das macht er richtig gut. Charmantes Lächeln – ein Pluspunkt für ihn. »Ich glaube, wir kennen uns noch nicht«, sagt er zu mir.
Ich bin unsicher. Wie ist das eigentlich in Tai-Chi-Kreisen, redet man sich dort mit Vornamen an? Duzt man sich gleich oder doch erst das gepflegte Sie? Die Anrede umschiffe ich erstmal.
»Äh, nein wir kennen uns noch nicht«, antworte ich. Etwas zu schnell sprudelt es aus mir heraus: »Ich heiße Barbara Berckhan,
ich bin zum ersten Mal hier und ich habe schon bezahlt, per Überweisung, schon im letzten Monat.«
»Okay«, sagt der Tai-Chi-Meister, während er mich immer noch ganz ruhig anlächelt. »Dann herzlich willkommen, Barbara. Ich heiße Rainer.«
Die Begrüßung war vollkommen okay. Noch ein Pluspunkt. Offenbar werden hier die Vornamen bevorzugt. Rainer schaut auf seine Liste und sagt: »Ah! Hier steht dein Name. Barbara. Alles prima.«
Ich entspanne mich. Obwohl er auch im Asia-Stil gekleidet ist und einen Pferdeschwanz am Hinterkopf hat, ist der Typ möglicherweise doch ganz in Ordnung. Ich konnte bis jetzt keine Guru-Attitüden an ihm entdecken. Sein mildes Lächeln lasse ich ihm durchgehen.
Ohne lange zu überlegen, sage ich plötzlich zu ihm: »Ich weiß nicht, ob ich richtig angezogen bin.« Ich schaue an mir runter und ich ziehe die Hosenbeine meiner Jogginghose ein wenig in die Breite. Tai-Chi-Rainer mustert mein Outfit mit einem freundlichen Gesichtsausdruck. »Das ist perfekt«, meint er. »Wichtig ist, dass du bequeme Sachen anhast, in denen du dich wohlfühlst. « Und dann zwinkert er mit einem Auge. »Hier muss man sich nicht verkleiden.« Das waren die richtigen Worte. Ich atme tief aus. Doch alles nicht so schlimm, wie ich dachte.
Später lerne ich die anderen Teilnehmer kennen. Die blonde Frau, die wie ein Tai-Chi-Engel aussieht, erweist sich als äußerst bodenständig. Mit ihr kann man prima lachen. In der Pause macht sie sich gern über die Tierfiguren lustig, die wir beim Tai-Chi üben. Und unser Lehrer lacht mit. Ja, ich fühle mich in der Gruppe ganz wohl.
Akzeptiere mich so, wie ich bin
Wenn Sie sich das Verhalten des Tai-Chi-Lehrers noch mal durchlesen, werden Sie feststellen, dass der Typ gar nichts Großartiges veranstaltet hat. Sein Kontaktverhalten war normal, wirkte weder aufgesetzt noch aufwendig. Er hat keinen Wind gemacht. Hätte er mehr Aufwand betrieben, wäre er von mir wahrscheinlich noch tiefer in die Guru-Schublade gesteckt worden. Er hat die drei ersten Werkzeuge, die Aufmerksamkeit, den Kontakt und die gleiche Wellenlänge in nur drei Minuten zum Einsatz gebracht. Mit seiner ganzen
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