Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
fünfzehn in den Weihnachtsferien zu Hause war. Sie war durch die halbhohe Schwingtür in die Küche gegangen, wo Daphne einen Red Velvet Cake buk. Daphne hatte irgendwas gesagt, das Livia wütend machte, und es hatte ein nie aufgeklärtes Gerangel gegeben, worauf Livia schließlich mit einem tiefen Schnitt im linken Daumen wieder aus der Küche kam. Ihren Eltern hatte sie gesagt, es sei ein Unfall gewesen, und sie habe das Messer selbst in der Hand gehabt, aber dennoch hatte sie ihre Schwester und das rote Innere des Red Velvet Cake mit anklagenden Blicken bedacht. Das damalige Wartezimmer und das Wartezimmer, in dem sie jetzt neben Winn saß, waren fast identisch – der gleiche PVC-Boden, die gleichen Kunststoffstühle, der gleiche Geruch nach Isopropyl in der Luft. Im Grunde waren alle Wartezimmer gleich, sie waren keine wirklichen Orte, sondern gewissermaßen Proben fürs Fegefeuer. An der Wand gegenüber hing ein großes gerahmtes Foto von einer orangefarbenen Krabbe, die an den Zangen gehalten wurde, den blassen Bauch zur Kamera, die Beingelenke vor Entrüstung gekrümmt. Über einem traurigen Ficus in der Ecke zeigteein unter der Decke aufgehängter Fernseher den Wetterbericht. Der Empfang war an der Kreuzung zwischen zwei Fluren eingerichtet, eine angeödete Schwester thronte dort mit einem Bleistift im Haar an einem hohen halbrunden Schreibtisch vollgestapelt mit Akten und Papier.
Die Stühle waren spärlich besetzt. Biddy drehte Winns Handgelenk so, dass sie auf seine Uhr sehen konnte. Erst Viertel nach zwölf, noch früh am Tag für Sommerverletzungen. Der späte Nachmittag und frühe Abend waren vermutlich die Spitzenzeiten für Gehirnerschütterungen durch Mastbäume und Softbälle, für Verwundungen durch verirrte Angelhaken und abgerutschte Austernmesser. In der Nähe des Empfangs wartete ein junges Paar. Die Frau war grün um die Nase und hing trübsinnig über einer leeren Plastiktüte, die sie auf dem Schoß hielt, während der junge Mann, der eine Kappe mit Sonnenschild trug, ihr den Rücken rieb und auf den Fernseher starrte. Plötzlich hielt sich die Frau die Hand vor den Mund und rannte in die Damentoilette, und der Mann blickte ihr wehmütig und resigniert nach wie einem davonfliegenden Ballon. Neben dem Ficus saßen eine alte Frau und ein kleiner Junge, die schwiegen und beide nicht krank oder verletzt wirkten. Der Junge trug einen weißen, schnurgeraden Mittelscheitel und war seltsam altmodisch angezogen: Shorts und Kniestrümpfe zu braunen Schnürschuhen. Biddy fand, er sah aus, als sollte er im alten Berlin unter einem Himmel voller Zeppelins einen Reifen durch die Straßen rollen. Der einzige andere Patient war ein schlaksiger grauhaariger Mann in lachsfarbenen Hosen. Er hatte einen blutigen Verband über einem Auge und übte am Eingang zu einem der beiden Flure Golfschwünge. Immer und immer wieder stellte er sich vor einem eingebildeten Tee auf undfixierte mit einäugiger Heimtücke einen unsichtbaren Ball, um sich dann an der Taille nach hinten zu verdrehen und seinen Schlag so peitschenschnell durchzuführen, dass er mit den Händen über dem Haupt endete, eine Fußspitze auf dem Boden ausgestreckt wie ein Balletttänzer, den Blick starr und auf das Leuchtschild im Flur gerichtet, auf dem RAUCHEN VERBOTEN stand.
Biddy blätterte in einer Illustrierten über schönes Wohnen. Bei einem doppelseitigen Foto von einem Strandhaus in den Hamptons hielt sie inne. Sand und Dünengras, ein blauer Swimmingpool, menschenleere Zimmer. »Lies das nicht«, sagte Winn, der ihr über die Schulter guckte. »Sonst willst du eine neue Küche.«
»Das riskiere ich«, sagte Biddy, ohne aufzublicken.
»Solche Illustrierten dienen nur dazu, Unzufriedenheit zu stiften.«
Sie blätterte weiter. »Sollen sie doch.«
»Was wohl die Leute im Pequod dazu meinen, wenn sie von meinem Unfall hören«, sagte er und hob sein Bein, damit sie es besser sehen konnte. Das Taschentuch des Caddies, steif und fleckenweise braun verfärbt, war noch um die Wunde gebunden. »Da mähen sie mich einfach nieder. Wahrscheinlich sorgen sie sich schon darum, ob ich Schmerzensgeld verlangen werde. Wer weiß. Unter Umständen habe ich damit jetzt sogar ein Druckmittel in der Hand.«
Er schaute sich finster im Wartezimmer um. Die junge Frau kam aus der Toilette und nahm wieder Platz. Der Golfspieler verzögerte seinen nächsten Schlag, bis sie sich gesetzt hatte, um ungehindert ausholen zu können.
Biddy musterte das Profil ihres
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