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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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Mannes, seine ergrauenden Augenbrauen und schmalen Lippen, das Kinn, das ihn sostörte. Hatte sie nur geträumt, dass sie in den frühen Morgenstunden miteinander geschlafen hatten? Nachdem sie sich beinahe ertränkt hatte? Durch ihre Erschöpfung hatte sie tief und traumreich geschlafen. Aber es war wirklich passiert, dachte sie, so unwahrscheinlich es auch war. Ihn zu fragen, war ihr zu peinlich. Von den Anfängen ihres Liebeslebens an, schon als stilles, hübsches, beliebtes Mädchen, das mit den biedersten, ernstesten Söhnen der Freunde ihres Vaters ausging, hatte sie akzeptiert, dass Männer nicht zu ändern waren. Die Jungs, mit denen sie im Bootsklub tanzte, würden niemals zu Männern heranwachsen, die sie erregten. Ihre höflichen Hände würden nie ihre Leidenschaft entfachen. Bis sie mit Winn ins Bett ging, hatte sie noch überhaupt keine Leidenschaft erlebt, aber sie hatte gewusst, dass es so etwas gab und dass sie es erleben wollte. Komisch, dass er derjenige war, der sie in Wallung brachte – er ähnelte nicht einmal entfernt den exotischen Liebhabern aus den pikanten Romanen im geheimen Regal ihrer Mutter. Doch zugegebenermaßen galt er als Schürzenjäger – und da Schürzenjäger nie hinter ihr her waren (vermutlich weil sie sich von ihr keine schnellen Erfolge erhofften), war dieser Ruf ein Kick für sie.
    Er hatte sie nach der Beerdigung seines Vaters aus der Menge herausgepickt. Zuerst hatte sie geglaubt, er habe sie verwechselt. Sie erinnerte sich an seine Augen, den zielstrebigen Blick, mit dem er sie zwischen all den schwarzen Hüten und schwarzen Schultern auswählte und sich ihr dann immer mehr näherte, bis er ihr die Hand schüttelte und sie fragte, ob sie mit ihm essen gehen wolle, während sie ihm gleichzeitig ihr Beileid aussprach. Die Seltsamkeit seines Ansinnens hatte ihr geschmeichelt. Wie faszinierend sie doch wirken musste, wenn sie einen Mann von der Trauer um deneigenen Vater ablenkte. Wie unwiderstehlich musste ihr Sex-Appeal sein, wenn er die Schwere des Todes vertrieb. Die Spannung hielt sich durch die erste und die darauf folgenden Einladungen zum Essen, durch ihre ersten verliebten Zwiste und sogar nachdem ihr klar geworden war, dass er wie alle anderen war, ein Mann, der sie nicht des Spaßes wegen wollte, sondern als langfristige Investition betrachtete. Gelegentlich trafen sie Mädchen, mit denen Winn vor ihr ausgegangen war, und auch diese Mädchen gaben ihr einen Kick, weil sie in ihrer Gegenwart mit ihm zu flirten versuchten und es darauf anlegten, dass er sie betrog, indem er Interesse zeigte – was er bisweilen tat und manchmal auch nicht.
    Sie wusste, dass sie ungewöhnlich duldsam war, doch sie konnte gegen ihre Natur nicht an. Genau wie Winn nicht gegen seine Natur ankonnte. »Tut es weh?«, fragte sie und deutete auf sein Bein.
    »Natürlich tut es weh.«
    »Du Armer.« Sie schaute in ihre Illustrierte, auf einen langen leeren Picknicktisch unter Olivenbäumen irgendwo in Spanien, gedeckt für zwölf Leute. »Ich konnte es nicht fassen«, sagte sie, »wie dieser Mensch dich einfach hochgehoben hat. Wie ein Fliegengewicht.« Sein Schweigen im Auto hatte ihr gesagt, dass er eine große Demütigung erfahren zu haben meinte, aber sie hatte nur staunen können, als sie ihren Mann so in den Armen eines anderen liegen sah. Sie wünschte, er hätte sich selber sehen und die klägliche Verwirrung in seinem Gesicht lesen können. Als er ihren Namen gerufen hatte, kam es wie von einem Kind, das in der Nacht beruhigt werden will.
    Winn verschränkte die Arme über der Brust und sagte: »Das war völlig unangemessen. Ausgesprochen übergriffig.Ich bin darüber sehr verärgert. Das werde ich ebenfalls dem Pequod gegenüber erwähnen. So etwas tut man einfach nicht. Vollkommen unmöglich ist das.«
    »Ich glaube, er wollte bloß helfen. Ich habe ihn darum gebeten. Es war nicht« – sie senkte die Stimme – »böse gemeint. Ich glaube, dass er nicht unbedingt der Hellste ist.«
    Winn fummelte an dem Knoten im Taschentuch von Otis. »Lass uns das Thema wechseln«, sagte er.
    Eine Schwester im lila Kittel erschien mit einem Klemmbrett. Hoffnungsvoll blickte die junge Frau auf, der übel war. »Chamberlain«, rief die Schwester. Der Junge in Kniestrümpfen und seine Mutter standen auf und folgten ihr ins Innere der Klinik. Die junge Frau legte den Kopf auf die Knie. Der Golfspieler pfiff leise, während er erneut einen Ball auf ein Green schoss, das er allein sehen

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