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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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mich gern mit dir«, sagte er. »Andere Mädchen sind oft so voreingenommen, aber bei dir habe ich das Gefühl, ich kann über alles reden, und du verstehst mich. Du bist so mitfühlend. Vielleicht weil du auch schwere Zeiten durchgemacht hast – du musst nichts dazu sagen, aber ich weiß über alles Bescheid.«
    Livia beschleunigte ihr Tempo und versuchte ihn damit zur Eile anzutreiben, doch er blieb zurück und zwang sie, wieder langsamer zu gehen. »Können wir nicht über was anderes reden?«, fragte sie. »Irgendwas Leichteres?«
    »Klar doch«, sagte er. »Ich wollte dir bloß sagen, dass ichimmer ein Ohr für dich habe. Ich mag dich unter anderem, weil ich glaube, dass wir in unseren Familien eine ähnliche Rolle haben. Wir sind die Kritischen. Wir stellen eine Bedrohung für ihre Lebensweise dar – stehen für eine neue Ordnung der Dinge.«
    Hinter der Landspitze hing ein lose gefügter Möwenschwarm in der Luft; sie kreisten und stießen nieder und machten Geschrei. Livia wusste, dass sie den Wal zerpickten. Hoch oben am Himmel drehten drei Truthahngeier ihre langsamen Spiralen. Den Blick auf die Vögel gerichtet, sagte sie: »Ja, Sterling hat mir von deinem Ärger an der Uni erzählt.«
    Er blieb stehen. »Von welchem Ärger?«
    In ihrem flauen Magen kribbelte es vor Freude über seinen Unmut. »Ich hätte nichts davon sagen sollen.«
    »Welchem Ärger?«
    »Sterling hat erzählt, du wärst in Princeton beinahe nicht angenommen worden.«
    »Ich hab nicht betrogen.« Er richtete seine große eckige Sonnenbrille auf sie. »Die anderen haben gelogen. Sie waren bloß neidisch.«
    Okay«, sagte sie. »Vergiss es. Es geht mich nichts an.«
    »Ich habe meinen Platz in Princeton verdient . Durch harte Arbeit.« Sein Ton war flehend, fast bettelnd.
    »Okay«, sagte Livia noch einmal. »Tut mir leid. Es war nicht nett von mir, das Thema anzuschneiden.«
    »Das stimmt.« Er knuffte fröhlich, ganz leicht, ihren Arm. »Hey«, sagte er ostentativ munter. »Ich hab übrigens gehört, dass Teddy, seitdem es sich rumgesprochen hat, dass er zur Army geht, mit halb New York geschlafen hat. Offenbar gilt der alte Spruch über Mädchen und Uniformen immer noch.«
    Ungläubig starrte sie ihn an. Dann wandte sie sich ab undstapfte durch den tiefen Sand davon. Der Gestank des Wals wurde schlimmer, und als sie vor Anstrengung zu keuchen begann, drehte sich ihr der Magen um. Francis eilte ihr nach. »Es tut mir leid«, rief er. »Ich bin ein Arsch. Livia. Bitte. Ich kann bloß einfach nicht mit Zurückweisungen umgehen.«
    Livia lief los und erreichte die Landspitze, an der sich die Wellen von zwei Seiten brachen, so dass eine Naht im Meer entstand. Alkoholdunst stieg ihr in die Nase, und in ihrem Mund sammelte sich Speichel. Sie musste sich übergeben. Schnell planschte sie in die Wellen und erbrach eine dünne grüne Flüssigkeit in den Schaum. Sie hatte das Frühstück übersprungen.
    Francis wartete am Strand, während sie sich den Mund mit Salzwasser ausspülte. Sie kehrte mit schweren Schritten ans Ufer zurück und sagte, als sie nahe genug heran war: »Bitte halt einfach den Mund.«
    Zu ihrer Überraschung gehorchte er und blieb, als sie weiterging, fügsam zwei Schritte hinter ihr. Livias Bauch krampfte weiter vor sich hin, und das Schweigen ließ ihr Raum, über Francis nachzudenken. Sie fragte sich, ob er sich danach sehnte, dass ein Mädchen, vielleicht sogar sie, sich schwarze Ledersachen anzog und ihn nackt auspeitschte und dann zwang, ihr die Füße zu lecken. Sie konnte auch nicht gut mit Zurückweisung umgehen. Bei der Erinnerung an ihr Verhalten auf der Party im Ophidian wurde ihr schon wieder schlecht.
    Hinter der Landspitze kam endlich der Wal in Sicht, nur ein kleines Stück weiter am Strand. Eine Menschenmenge und Jeeps standen um ihn herum, und von oben stießen Möwengeschwader nieder. Doch Livia sah nur den Wal, eine onyxfarbene Träne, einen gigantischen schwarzen Flussfelsen.
    »Oh«, sagte sie ehrfürchtig und legte sich die Hand aufs Herz.
    »Himmelherrgott«, sagte Francis. »Wie das stinkt.«
    Der Gestank des Wals war mächtig, zäh, fast greifbar. Der Wind trieb Livia Verwesungspartikel an Haut und Kleidung, doch ihr war das egal. Ihre Übelkeit war auf ein erträgliches Maß zurückgegangen. Die Schwanzflosse des Wals, platt auf dem Sand wie ein gigantischer ausrangierter Spaten, erfüllte sie mit Mitleid.
    Das letzte Mal, erinnerte sich Biddy, hatte sie in einer Notaufnahme gewartet, als Livia mit

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