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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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hatte. Ihre Komplizin dabei war Biddy Van Meter gewesen. Das Internat hatte ihrer Mutter die Telefonnummer der Van Meters gegeben, als sie darum bat, sich an irgendwen wenden zu können, um sich Rat zu holen. Als Dominique sich mit Daphne angefreundet hatte und von ihr zu Thanksgiving nach Hause eingeladen wurde, hatte sie Biddy kennengelernt und dabei das Gefühl gehabt, ihrer Schöpferin gegenüberzutreten, derjenigen, die sie für eine längere, wenn auch periphere Rolle im Leben ihrer Familie durchgestylt hatte.
    Anfangs waren die Van Meters total bezaubernd gewesen. Daphne war lieb und munter. Die noch ganz kindliche Liviaverehrte Dominique abgöttisch. Biddy war praktisch, forsch, freundlich. Winn trug Fliege und darauf abgestimmte Einstecktücher und ging alle Aspekte seines Lebens so sicher und überlegt an, dass Dominique absolutes Vertrauen zu ihm fasste. Der Garten war unkrautfrei, im Hauswirtschaftsraum lagen keine einzelnen Socken. In der Garage hing ein Tennisball an einer Schnur, um genau den Punkt anzuzeigen, wo das Auto anzuhalten war. Die Milch wurde einen Tag vor dem Ablaufdatum weggeworfen. Und trotzdem wirkte alles, was die Familie machte – ob sie Tennis spielten, Essen kochten, Freundschaften schlossen, sich anzogen – mühelos. Erst nach Jahren erkannte Dominique, welche Anstrengungen sie sich auferlegten, und zugleich auch das Ziel dahinter. Sie wollten Aristokraten sein, in einem Land, in dem es angeblich keine Aristokratie gab, ja, das einst unter anderem aus Protest gegen die Ungerechtigkeit erblicher Macht entstanden war. Für Dominique war das unverständlich: Wo lag der Sinn darin, so viel Energie auf die Nachahmung eines Systems zu verwenden, das doch vollkommen überholt war? Jede erbliche Aristokratie war dumm, und die Amerikaner besaßen für ihre Form des Erbrechts nicht einmal Regeln, jedenfalls keine richtigen. Viele von Dominiques Mitschülerinnen in Deerfield stammten aus Familien, die darauf erpicht waren, nach einem verstaubten, halb verstandenen Verhaltenskodex zu leben, den sie von Generationen von Hochstaplern übernommen hatten. Offenbar mochten Leute, die sich ihre gute Herkunft zugutehielten, ihre erfundenen Kasten nicht aufgeben, weil sie sonst am Ende ohne etwas dasitzen und nirgendwo mehr Bewunderung für ihre besonderen Clubs, ihre Stammbäume, ihre komischen Manieren, ihren fadenscheinigen Wohlstand ernten würden.
    Sie konnte sich ihre bleibende Anteilnahme, ihre Geduld mit diesen Menschen, nicht erklären. Als Mitglied einer unbeliebten Minderheit in ihrem Heimatland, zu der sie gezählt wurde, obwohl weder sie noch ihre Eltern religiös waren, meinte sie eigentlich, angesichts dieser neu-englischen Illusionen von Erhabenheit und Geburtsrecht, angesichts ihrer Spießigkeit und ihres Nepotismus vor Empörung schäumen zu müssen. Doch das Schlimmste, was sie sich abringen konnte, war ein leises, dumpfes Mitgefühl, oft gepaart mit leisem, dumpfem Amüsement. Ihr Gefühl sagte ihr, dass die Van Meters ihre Ellbogen weiter ausfahren mussten als andere, um ihren Status zu halten, und manchmal ertappte sie sich dabei, dass sie ihr leidtaten. Sie waren ein wenig randständig – Dominique wusste nicht genau warum, und es wäre ihr schwer gefallen, das Minderwertigkeitsgefühl zu beschreiben, das manchmal durch die Räume des Van Meter’schen Hauses zog wie fauliger Duft. Gottlob für Belgien, dachte Dominique. Für Sebastiaan. Gottlob, dass sie den Kord und die Schottenröcke an den Nagel gehängt hatte und zu ihren Tuniken und Schals zurückgekehrt war.
    Ein Jeep sauste an ihr vorbei, bremste, dass es quietschte, und hielt am Straßenrand. Sie hörte auf zu treten und fragte sich, ob sie einfach vorbei fahren sollte. Auf der Beifahrerseite reckte sich ein unbekannter Kopf aus dem Fenster. »Dominique?«, sagte er, als sie herankam. »Hey. Dominique?«
    »Ja?« Sie hielt an und schaute ins Auto. Am Lenkrad saß Greyson. »Oh, hey!«, sagte sie. »Greyson!«
    »Habe ich dich doch richtig erkannt«, sagte er und beugte sich über seinen Mitfahrer. »Wie geht’s, wie steht’s?«
    »Du hast meinen Hintern aus fünfhundert Metern erkannt?«
    »Nicht deinen Hintern, deine Entschlossenheit. Schon von weitem. Das ist mein Bruder Francis.«
    »Hey«, sagte der Mitfahrer.
    »Warum habt ihr bei so schönem Wetter das Verdeck zu?«, fragte Dominique. »Habt ihr Angst um eure Frisuren?«
    »Ich mag keine Cabrios«, sagte Francis. Er trug eine altväterliche Brille und machte

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