Leichte Turbulenzen - Roman
verstreut, die bunten Bauernhofmagneten waren von der Kühlschranktür gefallen, die Bücher, CD s und DVD s, die sie nach Genres sortiert im Bücherregal regelmäßig abgestaubt hatte, lagen zerknickt oder zertreten zwischen den Scherben der gläsernen Blumenvase und dem zertrümmerten Lampenfuß aus weißer Keramik.
Jetzt war sie wach und alles war gut.
Peers befreiende Offenheit.
Es waren keine Hirngespinste gewesen. Sie hatte mit allem recht gehabt. Peer hatte sich mit Jenny bei Starbucks getroffen. Er hatte sich mit ihr SMS geschrieben und unten auf der Straße heimlich telefoniert, als er sich eine Cola geholt hatte. Und Nathalie hatte diese leichte Verschiebung, die sich in ihrer Ehe vollzogen hatte, gespürt.
Und als sie Peer dann endlich ohne Vorhaltungen alles hatte erzählen lassen, war sie ganz ruhig geworden. Sie hatte einfach nur still dagestanden und gemerkt, dass nichts davon sie bedrohte. Im Gegenteil. Seine Ehrlichkeit brachte sie dazu, die Wohnung nicht zu zerlegen. Erst im Traum hatte sie das nachgeholt.
Heute war Sonntagmorgen. Alles stand noch an seinem angestammten Platz. Nichts war verrückt. Auf keinen ihrer gesellschaftspolitischen Artikel war sie je so stolz gewesen wie auf diese Leistung, nicht die Nerven verloren zu haben, sondern zu vertrauen. In einer Stunde etwa wäre sie normalerweise mit ihrem Mann und ihrer Tochter aufgebrochen, um schräg gegenüber im Café frühstücken zu gehen. Sie lebten im Prenzlauer Berg – dem Viertel, in dem das perfekte Glück, als der immer währende Moment zu einer Art Wohnberechtigungsschein geworden war. Nun blieb sie liegen und gab sich noch ein wenig der vollkommenen Stille hin. Zum letzten Mal rief sie ihr Schicksal auf, das sie sich in der Vergangenheit wie eine Süchtige immer wieder ausgemalt hatte, um sich auf den Schlag vorzubereiten, mit dem sie so lange gerechnet hatte und der sie bis heute nicht getroffen hatte. Sie war nicht mehr das Kind, das von seiner Mutter verlassen worden war. Sie war Nathalie. Eine erwachsene Frau. Das musste sie einsehen. Das, was ihre Mutter getan hatte, musste sich nicht wiederholen. Im Gegensatz zu ihr würde sie es schaffen, sich mit ihrem Mann zu verbinden. Während ihr Vater sich seiner Forschungsarbeit als Historiker hingegeben hatte, war ihre Mutter suchend durch die Umgebung gestreift, in der Hoffnung, jemanden zu finden, der ihr all das geben konnte, was er ihr vorenthielt. Hingabe. Leidenschaft. Vertrautheit. Und ungebrochene Freude. Es war nicht erstaunlich, was die arme Tamara damals Nathalie im Garten hinter den Himbeersträuchern offenbart hatte. Es war nicht erstaunlich, dass ihre Mutter mit Heiner, Tamaras Vater, eine Liebschaft begonnen hatte. Es war ganz und gar nachvollziehbar, dass so eine Frau wie ihre Mutter nicht ungesehen in dieser verschlafenen Rundlingssiedlung hatte altern wollen. Sie war keine Frau gewesen, mit der man in die Einöde zog, um dort, weit weg vom flirrenden Leben, Ruhe zu finden.
Doch all das hatte nichts mit Nathalie zu tun.
Zärtlich strich sie über den nackten, geliebten Arm, der über ihrer Taille lag. Sie strich über die warme Haut bis zu den Fingerspitzen, über den Ehering ihres Mannes, der eng hinter ihr lag und vertraut in ihren Nacken murmelte: »Ich liebe dich. Hörst du? Nathalie? Ich liebe dich.«
All das, was ihre Mutter sich so sehr gewünscht hatte, besaß Nathalie längst. Nur erkannte sie es jetzt erst.
Die Nacht über hatten sie und ihr Mann, ohne sich zu bewegen, eng umschlungen auf dem Sofa gelegen und gleichmäßig miteinander geatmet.
Sie lächelte und nickte. »Ich höre dich, mein Liebling. Ich liebe dich.«
Nie wieder wollte sie so hässlich über Peer denken, der ihr all seine Fürsorge und Treue schenkte. Sie hob seine Hand zu ihrem Mund und küsste sie, so wie ihre Mutter die Hand ihres Vaters jeden Morgen vor dem Aufstehen geküsst hatte, um ihm zu versichern, dass sie seine Frau war. Nur hatte er damit so wenig anfangen können. Es war seltsam, was sich die Menschen, die sich das Versprechen gegeben hatten, sich zu lieben und zu ehren, gegenseitig für Kummer antaten, anstatt sich aufeinander zuzubewegen. Bockig gaben sie sich Versuchungen hin, von denen sie meinten, dass sie Linderung in ihrer Not brachten. Ihre Mutter war ihrer Sehnsucht nach Verbundenheit zum Opfer gefallen. Nach zwölf Jahren hatte sie endlich erkannt, dass sie nicht zu einem anderen gehen musste, um ihren Mann zu erreichen. So, wie Peer es geschafft hatte,
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