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Leichtes Beben

Leichtes Beben

Titel: Leichtes Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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froh, dass sie die Initiative ergriffen hatte. Er umklammerte die Kondome in seiner Sakkotasche. Und mit Blick auf die faltige Haut seiner freien Hand fragte er sich, was sie wohl denken würde, wenn sie ihn nackt sähe, seinen da und dort schlaff gewordenen Körper berührte, die leichten Speckpolster an den Hüften und womöglich sogar alles andere. Denn dann würde sie erleben, wie er wirklich war: plump und alles andere als ein Liebhaber, der mit erstaunlichen Techniken aufwarten konnte.
    Esther und er hatten wie alle anderen Paare auch ihre Rituale gehabt und jeden Handgriff des anderen aus ungezählten Begegnungen gekannt. Doch nun saß er einer jungen fremden Frau gegenüber, mit der alles |59| neu sein würde, und auf einmal druckste er wieder herum wie ein Feigling.
    »Mich stört übrigens nicht im Geringsten, was die Leute denken«, sagte sie erneut und strich sich eine Strähne aus ihrer hohen Stirn. »Wirklich nicht!«
    Dabei griff sie nach seiner Hand, als wolle sie ihn zu sich herüberziehen, lächelte und drückte sie. Doch Spencer blickte sich hilfesuchend um und sagte, obwohl er genau wusste, dass das so nicht wirklich stimmte: »Mich aber!«
    Da ließ sie seine Hand los, und er sah, wie sich in ihrem Gesicht etwas veränderte, etwas Kühles sich darin ausbreitete. Eilig ruderte er zurück, lächelte unecht und sagte: »Nein, so war das nicht gemeint.«
    Spencer hatte kürzlich unbeabsichtigt das Telefonat eines jüngeren Kollegen im Verlag mit angehört, in dessen Verlauf dieser einem anderen offenbar seinen Besuch bei einer Prostituierten schilderte. Spencer hatte zunächst seinen Ohren nicht getraut, sich aber trotzdem nicht von der Stelle gerührt, denn Jamisons saftige Schilderungen hatten seinen eigenen, immer mal wieder in diese Richtung laufenden Phantasien für ein paar Minuten neue Nahrung gegeben. Und irgendwie hatte er Jamison um seine Schlichtheit beneidet, auch wenn ihm sein Gefühl sagte, dass der Gang zu einer Prostituierten nicht wirklich etwas für ihn war. Daran musste Spencer denken, als er so dasaß und den Blick der jungen Frau, die sich ihm als Ronda vorgestellt hatte, auf sich spürte.
    Noch am Mittag, nachdem er Widmers Kanzlei verlassen hatte und die zahlreichen jungen Frauen |60| ihm lachend entgegengekommen waren, hatte er von einer Situation wie dieser geträumt. Nun aber, da er im Begriff war, mit einer hinreißenden Frau ins Bett zu gehen, verließ ihn der Mut.
    Spencer zahlte, und als sie hinaustraten in die Nacht und die würzige Luft in seine Lungen strömte, musste er plötzlich an Esther denken. Doch da hakte Ronda sich bereits bei ihm unter und zog ihn zielstrebig über Straßen und schlecht beleuchtete Plätze. Bis sie in einem schmalen, vom kalten Licht leise summender Neonröhren erhellten Hausflur standen und Ronda ihre Wohnungstür aufschloss.
    »Bist du sicher, dass du das willst?«, sagte Spencer, als er auf dem Rand ihres Bettes saß und Ronda dabei zusah, wie sie aus einer der zahlreichen, auf einem Beistelltisch stehenden Flaschen eine hellbraune Flüssigkeit in zwei Gläser goss.
    »Ja. Du etwa nicht?«, antwortete sie, kickte mit zwei, drei kurzen ruckartigen Bewegungen ihrer Beine ihre Pumps durchs Zimmer und hielt ihm lächelnd sein Glas hin.
    Esther hatte das auf die gleiche Weise gemacht, wenn sie von einem Theaterbesuch nach Hause kamen und sie sich bereits im Flur, begleitet von einem erleichterten Seufzen, ihrer Schuhe entledigte.
    Spencer fragte sich, wer wohl den ersten Schritt tun würde. Gewöhnlich hatten Esther und er sich zunächst lange geküsst, ehe meist er sich daran machte, den Reißverschluss ihres Kleides oder die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen und, wenig später, den Hakenverschluss ihres Büstenhalters zu lösen. Doch das hier war |61| etwas völlig anderes. Fieberhaft durchforstete er sein erregtes Bewusstsein nach einer Idee, wie er weiter vorgehen sollte. Im selben Moment ließ Ronda sich neben ihm nieder, drückte ihr Glas spielerisch gegen seines und prostete ihm zu.
    Spencer starrte gebannt auf ihre feucht glänzenden Lippen, so, als müsse von dort jeden Moment die ersehnte Anweisung, der alles entscheidende Satz kommen. Doch stattdessen bewegte sie ihr Gesicht langsam auf ihn zu und gab ihm vorsichtig zuerst einen Kuss auf den Mund. Und anschließend noch einen auf die Wange.
    Und dann lag er irgendwann nackt neben ihr und wünschte sich, noch einmal das zu fühlen, was er Sekunden zuvor erlebt hatte, diesen Taumel, der

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