Leichtes Beben
scheinbar wie aus dem Nichts gekommen war und ihm schlagartig den Boden unter den Füßen weggezogen hatte.
Mit den Fingerspitzen strich er langsam über ihren Handrücken mit der immergleichen knappen Bewegung. Kurz darauf, auf der zugigen Toilette, wo er lange frierend vor der Schüssel stand und mit ansah, wie der bräunliche Strahl sich am Porzellan brach, dachte er, dass er Teil eines kleinen Wunders geworden war. Und dass sein Leben nicht mehr dasselbe war wie noch am Mittag an Bord des Dampfers.
»Alles in Ordnung?«, hörte er Ronda rufen.
»Ja, ja!«, antwortete er. »Alles in Ordnung!«
Während sie sich geliebt hatten, hatte Spencer einmal kurz an Esther denken müssen. An ihre kleinen, schlaffen und leicht zur Seite gebogenen Brüste, die |62| sie selbst einmal traurig lächelnd als Teebeutel bezeichnet hatte. Und an ihr Gesicht, auf dem sich, wenn sie auf ihm saß und sich mit heiligem Ernst mühte, ans Ziel zu kommen und ihre flüchtige Erlösung zu erlangen, oft schon nach ein paar Minuten rote Flecken zeigten.
Doch irgendwann waren die Bilder verschwunden, und Spencer hatte sich ganz Rondas hingebungsvollen und zugleich erstaunlich routiniert wirkenden Handgriffen überlassen. Es hatte eine Weile gedauert, bis er sich entspannte. Mit geschlossenen Augen hatte er auf ihren bald immer schneller gehenden Atem gelauscht.
Als er sich in ihr entlud, zuckten winzige, gleißend helle Blitze über seine Netzhäute, durch seine Adern rieselte eine sanft brennende Wärme, und er kippte schlagartig hinüber in eine kurze, angenehme Finsternis.
Nachdem er aus dem Bad zurückgekehrt war, legte er sich neben sie. Erschöpft, aber zufrieden blickte er an die Decke und verfolgte die haarfeinen Risse darin, während Ronda sich eine Zigarette anzündete, die erste in seiner Gegenwart überhaupt.
»Du rauchst?«, fragte er wenig überrascht.
»Stört es dich?«
»Nein, gar nicht«, sagte Spencer und schnupperte dem würzigen, in kleinen unsichtbaren Wellen an seine Nase dringenden Geruch nach. Er hätte immer nur weiter entspannt daliegen mögen und mit halb geschlossenen Lidern Rondas zischendem Ein- und Ausatmen lauschen wollen, als ihm die Schachtel mit |63| den Kondomen in der Tasche seines Sakkos einfiel. Sein Puls schnellte ruckartig in die Höhe.
»O Gott«, entfuhr es ihm halblaut. »Verdammt!«
»Was ist denn?«, fragte Ronda.
»Nichts, gar nichts«, wiegelte Spencer ab und drehte sich hastig auf die Seite.
»Na, komm!«, ließ Ronda nicht locker und schmiegte sich zärtlich an ihn. »Sag schon!«
Hin und wieder war zwischen Esther und ihm das Gespräch auf das Thema Seitensprung gekommen, schließlich lebten sie in einer Welt, in welcher Seitensprünge inzwischen offenbar zum guten Ton gehörten.
Das letzte Mal, als sie miteinander darüber sprachen, hatte Esther, und daran konnte Spencer sich noch gut erinnern, gesagt: »Solltest du mal was in diese Richtung vorhaben, ich meine ja nur, so bitte ich dich, verantwortungsvoll zu handeln und Kondome zu benutzen. Da draußen laufen schließlich schon genug Selbstmörder herum.«
Spencer hatte damals gelacht. Doch nun spürte er, wie ihm der Schweiß ausbrach. Was wusste er überhaupt von Ronda? Nicht einmal ihren Nachnamen kannte er.
Spencer spürte, wie das Luftholen ihm immer schwerer zu fallen begann. Und mit jeder Sekunde, die er länger dalag und seinen sich verfinsternden Gedanken nachhing, wuchs die Angst.
Während sie sich liebten, hatte er das Gefühl gehabt, dass Rondas Berührungen versuchten, ihm etwas Spezielles zu sagen. Und diese geheimnisvolle Zeichensprache |64| steigerte nur seine Lust, worauf er selbst noch aktiver wurde, um in diesen taktilen Dialog einzutreten.
Während er bei Esther das Gefühl gehabt hatte, stets die annähernd gleichen Informationen zu erhalten, schien er Rondas Sprache zwar zu sprechen, doch sie nicht wirklich zu verstehen.
Nach allem, was ihm die letzten Stunden gebracht hatten, war ihm, als stünde nun eine böse Fee neben seinem Bett und würde achselzuckend sagen: »Du hast es nicht anders gewollt!«
Spencer löste sich aus ihrer sanften Umklammerung, erhob sich und stand mit einem Satz neben dem Bett. Und während er nach seinen Kleidern griff, sagte er: »Ich muss gehen!«
»So plötzlich? Aber wieso denn?«, antwortete sie und sah ihn irritiert an, rührte sich aber nicht von der Stelle.
»Darum«, sagte Spencer knapp. Eine uralte, instinktive Furcht hatte von ihm Besitz ergriffen. Sein Herz
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